Hi Matthias! On Wed, 08 Oct 2003 00:35:31 +0200 Matthias Hannich <dumb@xxxxxxxxxxxxx> wrote: > > [...] > Wenn man aber merken würde, dass man gegen Wände läuft, indem man > versucht den Bau der Atombombe zu verhindern. Wenn wir merken, an dem > *Bau* sind eine Menge Leute interessiert und wir können den faktisch > nicht verhindern [...], so halte ich es für nutzlos > verbrauchte Energie, wenn wir weiter die "Wir wollen nicht, dass das > gebaut wird"-Schiene fahren. Okay, ich verstehe, was du meinst. Natürlich macht es wenig Sinn, Unabänderliches ändern zu wollen. Aber umgekehrt kann eine zu starke Kompromissbereitschaft, eine zu starke Bereitschaft zu konstruktiver Kritik dazu führen, dass ich einer Sache helfe, dass ich eine Sache stabilisiere, die ich eigentlich bekämpfen will. Beispiel Atommülllagerung: Soll die Anti-Atomkraft-Bewegung der Atomwirtschaft konstruktiv bei der Entwicklung von Atommülllagern behilflich sein, die nicht ganz so unsicher wie heutige Lager sind? Soll sie also als Qualitätssicherung der Atomwirtschaft arbeiten? "Atommülllager mit dem Gütesiegel der Anti-AKW-Bewegung", damit die Bevölkerung wieder Vertrauen in Atomkraft gewinnt? Oder soll sie, wie sie (zumindest ihr organisierter Teil) es derzeit tut, Atomkraft radikal und konsequent ablehnen, konstruktive Gespräche über (unvermeidlich gewordene) Atommülllagerung vertagen: wenn das letzte AKW abgestellt ist. Beispiel militärische Rüstung: Wenn ich Militär absolut ablehne, soll ich mich dennoch konstruktiv zur Entwicklung von Waffen verhalten, die präziser arbeiten und somit das Potential haben, weniger Leid anzurichten, weniger Menschen zu killen? Heute gibt es wesentlich präzisere Waffen als je zuvor. Trotzdem sterben in heutigen Kriegen mehr Menschen (absolut wie auch als Anteil der Bevölkerung einer Region) als in Kriegen der Vergangenheit, trotzdem ist in heutigen Kriegen der Anteil getöteter ZivilistInnen höher als in der Vergangenheit, gleichzeitig führen heute die meisten SoldatInnen Befehle mit erkennbarer Todesfolge aus, während früher die meisten SoldatInnen Befehle mit erkennbarer Todesfolge nicht ausgeführt haben (insbesondere bewusstes Danebenschießen). Ich tendiere dazu, meine Überzeugung zu vertreten und mich nicht auf taktische Gratwanderungen einzulassen; taktische Gratwanderungen führen allzu schnell in den Abgrund. > Mit Sicherheit sollte man das immer mal > wieder sagen, testen ob sich vielleicht die Interessen nicht doch > verschoben haben, aber letztendlich wenn man merkt, dass ein Interesse > daran besteht etwas zu entwickeln, sollte man sich dann doch auf die > Umsetzung der Entwicklung konzentrieren. Schadensbegrenzung ist besser als gar nichts, keine Frage. > > Was genau ist an meiner (bzw. der von mir bevorzugten) Argumentation > > gefährlich? > > Zum einen der angesprochene Energieverlust. Zum anderen kommen wir ja > keinen Schritt weiter und werden letztendlich bei der Umsetzung einfach > übergangen, wenn man zulange die Schiene "brauch keiner, will keiner, > ist böse" fährt, obwohl anscheinend es irgendwo doch Leute gibt, die > daran interessiert wären. Nehmen wir statt Atombomben das Beispiel ziviler Atomkraft, die bringt Strom in die Steckdosen und somit bei allen Gefahren auch irgendwas Positives - und viele Menschen, die sie wollen. Glaubst du, die Anti-Atomkraft-Bewegung in der BRD, die ja seit Jahrzehnten die "Sofortige Stilllegung aller Atomanlagen" fordert, wäre erfolgreicher gewesen, wenn sie von Anfang an einen kontrollierten Ausstieg innerhalb von maximal zehn Jahren gefordert hätte? Ich glaube das nicht, ich halte die (wenig realistische) Forderung nach einer sofortigen Stillegung nicht nur für ehrlicher, sondern auch für taktisch besser. > Gefährlich auch, weil ich es für wesentlich schwieriger halte eine > Technologie objektiv zu betrachten (und zu einem *eindeutigen* Schluss > zu kommen, der jegliche Weiterentwicklung z.B. stoppt), als eine > bestimmte Umsetzung dieser. Objektiv lässt sich, fürchte ich, gar nichts bewerten. Auch die Shoa (als sehr eindeutiges Beispiel einer "bösen" Politik) ist nicht objektiv böse, sondern kann bei einem ausreichend menschenverachtenden Wertesystem als richtig oder sinnvoll oder wertneutral angesehen werden. Werte sind nicht objektiv. Aber eine ganz andere Frage: Wann ist eine Technologie gestoppt? Bevor eine Technologie auch nur am Horizont zu erahnen ist, werden sich kaum GegnerInnen finden. Wenn eine Technologie aber absehbar ist, wie soll sie dann noch vollständig aufzuhalten sein? Filter und scharfe Messer sind nicht aufzuhalten, fast jedeR (bei Filtern: zumindest in Mitteleuropa) kann sich die Mittel verschaffen, sowas zu produzieren und weiterzuentwickeln. Anders bei Atomkraft, Gentechnologie, Quantencomputing, Nanotechnologie, beim Beamen ... - da ist's ohne Förderung durch Staaten, große Unternehmen oder MultimillionärInnen praktisch unmöglich, zu forschen. Ich sehe also Unterschiede in der Verhinderbarkeit, die von der Komplexität einer Technologie abhängen. Zurück zu "Trusted Computing". Es wäre imho völlig harmlos, wenn einzelne ihre Daten an eine verifizierte Umgebung binden würden. Es lässt sich auch nicht bemerken, ob/welche einzelne das tun. Aber wenn sich (ob als offener Standard oder per Quasi-Monopol) ein System als fast allgegenwärtig etablierte, das es ermöglichen kann, ohne großen Aufwand zentral (sei es staatlich oder kommerziell) die Nutzung von Daten und Computern zu kontrollieren, dann wäre das nicht harmlos, glücklicherweise aber im Vorfeld zu bemerken. "Trusted Computing" ist in den wesentlichen technischen Vorgängen (asymmetrische Verschlüsselung, kryptographisch sichere Unterschriften usw.) nichts Neues. Das Neue an "Trusted Computing" ist die Kombination und Verbreitung von Techniken die es in der Summe ermöglicht, den AnwenderInnen die Kontrolle über ihren Rechner, über ihre Daten zu nehmen. Die technischen Grundlagen für TC sind afaik spätestens seit RSA vorhanden, sie lassen sich nicht mehr verhindern. "TC verhindern" heisst für mich, eine nennenswerte Verbreitung von TC, eine nennenswerte Verbreitung von primär für TC geeigneten Formaten und Systemen zu verhindern. [wieder zur Frage Grundsatzablehnung versus Realpolitik; HV] > Gefährlich ist das ganze deshalb, weil es imo auf einer anderen Ebene > sich abspielt, und somit es den Befürwortern auch wesentlich einfacher > macht, ihre komische Argumente an den Mann zu bringen [...] Du meinst, meine guten Argumente gegen Atomkraft würden nicht gehört (bzw. wären leicht zu diskreditieren), weil ich so'n Phantast bin, der für sofortigen Ausstieg eintritt (bzw. leicht als solcher dargestellt werden kann)? Das glaube ich nicht, denn es gibt nicht nur die zwei Parteien "dafür" und "dagegen". Meine (unrealistischen, radikalen, phantastischen, grundsätzlichen) Argumente gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan werden vielleicht von CDUlerInnen ignoriert, aber die eine oder der andere in SPD oder B90/Grüne wird dadurch zum Nachdenken angeregt und korrigiert ihre/seine Position in meine Richtung. Dabei kommt dann vielleicht 'ne rot-grüne Position heraus, die meilenweit von meiner Position entfernt ist, die aber aus meiner Sicht weniger schlimm ist, als die vorherige rot-grüne Position ... - und die die CDU zwar nicht teilen, aber verstehen kann. Auch außerhalb der Parlamente: Was haben außerparlamentarische Bewegungen wie die Frauenbewegung oder die Schwulen-/Lesbenbewegung seit 1967 nicht alles erreicht - mit ihren radikalen, unrealistischen, ernsten Forderungen und ohne Rücksicht auf Koalitionen, Parteiprogramme und Kompromissfähigkeit? Natürlich waren die (alles andere als radikalen) RealpolitikerInnen dabei hilfreich. Aber hätten die sich ohne die radikalen Bewegungen für solche Themen überhaupt interessiert, geschweige denn eingesetzt? Was ich damit sagen will: Radikale Positionen helfen (wenn sie ernst gemeint sind) imho wesentlich bei der Verbreitung eines Inhalts, auch wenn sie Angriffsfläche für inhaltlich ausweichendes Gespött liefern. > Ich hoffe das war soweit verständlich, ich glaube ich habe mich nicht so > wirklich klar ausgedrückt, kriegs aber momentan auch nicht besser hin, > sorry. Das geht mir nicht anders. Ich habe in dieser Diskussion auch oft das Gefühl, meine Position nicht genug auf den Punkt bringen zu können; habe das Gefühl, viel zu viele Worte zu brauchen. > > In welcher gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist "Wer hat Recht?" > > denn nicht eine zentrale Frage? > > Wer hat Recht: Der, der sagt "Filter sind positiv" bzw. der, der sagt > "Filter sind negativ"? (Gleichermaßen "TCPA ist positiv" bzw. "TCPA ist > negativ") Recht hat vorläufig, wer für seine These die besseren Argumente (etwa eine Prognose möglicher Risiken oder Chancen) vorbringt. So lange niemand wahrnimmt, welches militärische Zerstörungspotential in Atomkraft steckt, ist es in dieser Hinsicht nicht verwerflich, nach immer effektiverer Nutzung von Atomkraft zu forschen. Aber wenn das Zerstörungspotential bekannt ist und dennoch weitergeforscht wird, wird die Sache verwerflich. Dabei geht es mir nicht darum, eine Verurteilung (etwa im Sinne von Strafen) zu erreichen, sondern ein gut-böse-Gefühl zu stärken: Forschung ist nicht immer und per definitionem wertneutral (oder gar gut), sondern kann sehr wohl "böse" sein! Die Aussage "Wenn ich nicht weiter forsche und entwickele, tun es andere" ist im wissenschaftlichen bzw. technischen Bereich eine ebenso traurige Ausrede, wie bei jedem Berufskiller, Henker, Scharfrichter, SS-Offizier, Soldaten ... > [...] > Dieser Mensch wird hier keine schwarz-weiß-Aussage treffen können. Aber vielleicht kann dieser Mensch versuchen, die Chancen und Gefahren gegeneinander abzuwägen um zu einer Meinung zu kommen, die über ein wertloses "hat alles Vor- und Nachteile" hinausgeht. > Wenn wir davon ausgehen, dass "wir" Ossis ja sowieso schon immer gegen > die DDR waren, könntest Du sogar recht haben, wenn Du sagst, dass > Atomkraft nicht etabliert ist. Aber genauso wie hier 80% (ups, habe ja > gar keinen Beleg) in der DDR nichts gemacht und nichts gesagt haben, und > heute sagen es war alles Mist, so sind es heute 80% die nichts sagen und > in 40 Jahren, wenn in Europa vielleicht alle AKWs aus sind behaupten, > sie fänden das ja schon immer scheiße. Das entspricht so ungefähr meiner Einschätzung. Mal ehrlich: Wie viele haben in der DDR Block gewählt? Okay, es waren vermutlich nicht die 98%, die uns verkauft wurden. Aber es waren sicherlich mehr als 80% - obwohl weit mehr als 20% mit der Blockpolitik nicht einverstanden waren. Ich nehme an, dass es in der BRD ähnlich ist: Die Leute wählen eine der großen Parteien - nicht, weil sie deren Politik unterstützen, sondern weil sie keine Alternative sehen bzw. die Alternativen möglicherweise anstrengend wären. > Mag sein, aber dann hilft das der Problemlösung herzlich wenig. Weil > genauso wie es für die wenigen "aus der Reihe-Tanzer" in der DDR keinen > gesellschaftlichen Rückhalt (in der breiten Masse und öffentlich) gab, > gibt es heute keinen in der breiten Masse in Bezug auf Atomkraft. Na, die ursprünglichen Atomkraftpläne (etwa 70-80% Atomstrom) konnten nie durchgesetzt werden, inzwischen ist ein mittelfristiger Komplettausstieg von der Regierung beschlossen. Das ist kein sofortiger Ausstieg und keine Revolution, aber doch ein gutes Ergebnis im Vergleich z. B. zu Frankreich. > Mir sind Leute lieb, die ganz viele TCPA-konforme Hardware kaufen, den > trusted modus fahren, grundsätzlich ganz viel Geld für Lizenzen ausgeben > und dann (still) gegen TCPA murmeln. Nein, die still Murmelnden meinte ich ganz sicher nicht. Sondern die lauthals Protestierenden, die aber nicht immer alles Böse konsequent boykottieren. > "Wie? Natürlich find ich es grausam, wie die kleinen Schweinchen da > einfach auf der Autobahn verreckt sind und natürlich mag ich keinen > Massentierhaltung und keine Überproduktion. Aber die Eier vom Biobauern? > Ja für wen halten Sie mich denn, ich wähl doch nicht grün! Wenn die > Biobauern die Eiern zum Preis, oder lieber billiger, denn man weiß ja > nicht was die Hühner da kriegen, wie im Geschäft verkaufen, dann würde > ich mir ja überlegen dahin zu gehen." Du hast nicht Unrecht. Mein Versuch am Arbeitsplatz, aus der Kaffeekasse nur halbwegs fair gehandelten Kaffee zu kaufen, ist kläglich gescheitert: Es war den meisten Kollegen angeblich zu teuer. Die Alternative, zwei Kaffeesysteme zu verwenden (eins für die Geiz-ist-geil-Mehrheit, eins für die Minderzahl der fair-Kaffee-bereiten Menschen) funktionierte nicht, für zwei getrennte Kaffeesysteme war der KollegInnenkreis zu klein. Was bedeutet solche Wohlstands-Bequemlichkeit für diejenigen, die hart an der Überlebensgrenze Kaffee pflücken, um unsere "Geiz ist geil"-Gesellschaft zu ermöglichen? Sollen sie auf unsere Großzügigkeit hoffen? Sollen sie ihrer Wertschöpfung hinterher reisen und hierher fliehen? Oder sollen sie unsere wirtschaftliche Macht militant angreifen, sich nehmen, was ihnen zusteht? (Vierte Möglichkeit: Sollen sie sich einer sich national und religiös gebenden Richtung anschließen, die die aktuellen AusbeuterInnen - nicht aber die Ausbeutung - angreift und bekämpft?) Ich fürchte, Möglichkeit Nr. 4 ist sehr erfolgreich und hat auch gute Chancen für die Zukunft. Damit würde die mörderische Gewaltspirale aus Ausbeutung, Terror und Krieg noch sehr lange weiter eskalieren. - Ich hoffe, dass ich mich in dieser Hinsicht irre. Schönen Gruß Holger
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