Re: Technologien verhindern
Hi Holger,
Am 06.10.2003 00:44 schrieb Holger Voss:
>
> On Sun, 05 Oct 2003 12:46:02 +0200 Matthias Hannich
> <dumb@xxxxxxxxxxxxx> wrote:
>
>> [...] indem wir zuviel Energie darauf verwenden zu versuchen,
>> bestimmte Technologien und Technoligieansätze zu verhindern, werden
>> wir womöglich am Ende gar nichts erreicht haben. Die Technologie ist
>> da, eine Diskussion darüber ist weitestgehend ausgeblieben, es
>> wurde viel Anstrengung in etwas investiert, was womöglich
>> zweitrangig ist.
>
>
>
> M. E. ist es existenzieller Bestandteil des Versuches, eine
> Technologie zu verhindern, Argumente gegen diese Technologie
> vorzubringen, eine Diskussion über diese Technologie anzustoßen.
Da bin ich Deiner Meinung. Ich habe aber die Erfahrung das bei einigen
Leuten dann halt purer Aktionismus auf der Tagesordnung steht und sonst
nichts.
>> Aber ob nun die Technik heute geschaffen wird oder morgen ist
>> meines Erachtens egal.
>
>
>
> Wenn sie erst morgen geschaffen wird, kann das - je nach Technik - a)
> heute Leid, vielleicht sogar Tote verhindern b) Zeit bieten, einen
> weniger schlimmen Umgang mit der Technik zu entwickeln.
Nun, ich denke da eher etwas pessimistischer und denke nicht, dass sich
in absehbarer Zeit an den Rahmenbedingungen etwas ändert.
> Vgl. Atombombe: Sie wurde 1945, als sie noch sehr neu war, "einfach"
> eingesetzt. Mehrere Hunderttausend Menschen wurden so getötet. Heute
> hat sich ein gewisser gesellschaftlicher Umgang mit Atombomben
> eingespielt: Schon die Entwicklung solcher Waffen wird sehr kritisch
> betrachtet, ihr militärischer Einsatz ist fast tabu.
Und was konkret hätte sich jetzt geändert, hätte man mit dem Einsatz der
Bombe noch gewartet? Also ich denke schon, dass hätte sich "die
Gelegenheit" in der Form wiedergeboten, man sie auch später eingesetzt
hätte.
Heute würde man sich wohl eher ins eigene Fleisch schneiden, wenn man
eine Atombombe einsetzt bzw. ist das heutige Potenzial in ihnen ja auch
um ein Vielfaches höher.
Und von einigen Ländern sind, oder waren bis vor kurzem, die
Entwicklungen daran ja auch noch nicht abgeschlossen. Diese
Technologie(entwicklung) hätte man meines Erachtens nicht wirklich
aufhalten können. Und angenommen, wir denken uns mal den Krieg weg und
die Entwicklung hätte halt 10 Jahre länger gedauert. Du hast vermutlich
recht, für den Moment hätte man Menschleben womöglich gerettet, aber auf
lange Zeit? Sorry, vielleicht seh ich das in der Beziehung wirklich
einfach zu pessimistisch.
>> Hätte man damals versucht die Atombombe zu verhindern, wäre dies
>> vermutlich ein ziemlicher Aufwand gewesen, um nicht zu sagen
>> verschenkte Energie.
>
>
>
> Warum? Vielleicht wären Atombomben erst nach 1945 entwickelt worden.
> Vielleicht hätten mehr als zweihunderttausend Menschen in Hiroshima
> und Nagasaki nicht sterben müssen?
Nun, ich halte es an der Stelle nicht mehr für wirklich sinnvoll, die
Vergangenheit ändern zu wollen.
*Möglichkeit 1*: Die Entwicklung der Atombombe ging schleppender als
erwartet voran, sie wurde bis '45 nicht fertiggestellt, der Druck
aufgrund des Krieges die Entwicklung möglichst schnell fertig zu kriegen
war weg, und man entwickelte sie ganz ruhig, mit ein paar Protestlern:
50 wurde sie dann das erste mal, schon aufgrund der in anderen Gebieten
fortgeschrittenen Technik getestet, sie konnte sich im Rahmen der
Möglichkeiten binnen 5 Jahre wesentlich schneller entwickeln, als das
während und kurz nach dem Krieg der Fall war.
Bis 1960 besaß die Atombombe schon wesentlich grausamere Ausmaße als die
imaginäre '45er-Bombe. Und man hatte sie ja nie an Menschen "getestet"
und wusste auch gar nicht, welche Ausmaße da auf einen zukommen, die
paar Wüstentests...
'62 kam dann die Kubakrise und man testete mal, was so eine Bombe in
Russland, oder umgedreht wie so eine Bombe auf amerikanische Städte
aussieht...es stirbt eine knappe Million.
Ich mein, sicher hätte es alles ganz anders kommen können, aber es ist
wirklich schwer jetzt ein "hätte, wäre, wenn" in die Vergangenheit zu
setzen und dann Vermutungen aufzustellen, was passiert wäre oder was
nicht. Sicher, der Fakt "Es wären '45 durch zwei Atombomben nicht eine
Menge Menschen gestorben." den können wir wohl so stehen lassen, aber
auf lange Sicht können wir nicht sagen, wie es sich entwickelt hätte.
(Wenn Deine Botschaft aber sein soll, es ist nicht falsch, zu Lebzeiten
gegen etwas sich zu engagieren, was man für falsch hält, dann bin ich
auch Deiner Meinung. Hier bin ich aber halt ein bischen im Zweifeln, was
der richtige (taktische) Weg ist.)
>> Deine Argumentation halte ich in soweit für gefährlich, als dass
>> man sie, je nach Diskussionspunkt und Standpunkt, beliebig auslegen
>> könnte. So wären z.B. Filter böse, weil man damit Informationen
>> filtern kann. Das widerspricht einigen Grundrechten und ist
>> richtig, trotzdem will ich deshalb nicht verhindern, dass Filter
>> entwickelt werden.
>
>
>
> Filter sind - wie Brotmesser - für gute und schlechte Dinge
> einzusetzen. Sobald Filter zentral installiert werden sollen, werden
> sie "böse", bis dahin sind sie meiner Meinung nach wertneutral. TCPA
> und Atombomben sind meiner Meinung nach schon in ihrer Existenz böse.
> Es gibt keine wertneutralen (oder gar guten) Atombomben.
Das meinte ich mit "gefährlicher Argumentation". Für bestimmte
Regierungskreise stell(t?)en Atombomben legitime Mittel zur Durchsetzung
ihrer Überzeugungen und Interessen dar. Wenn ich das so ansehen darf,
stellten Atombomben etwas positives dar. Für Dich (und für mich) tun sie
das augenscheinlich nicht. Wer hat nun recht? Wir, weil wir moralische
Grundwerte hinter uns glauben, $Regierungschef, weil er sagt, sonst gäbe
es ja noch mehr Tote und man müsse $Feind doch ausmerzen, weil der
kleine Kinder klaut oder $Verteidigungsminister, der sagt "Es sind
Waffen wie alle andere auch, und wir brauchen Waffen und eine Armee."?
Und letztendlich ist "wer recht hat" imo die zentrale Frage, wenn wir
uns darüber unterhalten, ob eine *Technologie* positiv ist oder nicht.
Und hier werden wir wohl nicht mit allen daran beteiligten
Interessengruppen auf einen grünen Zweig kommen, weshalb es womöglich
sinnvoller wäre, über bestimmte Dinge, die man mit so einer Technologie
machen kann und über den rechtlichen und moralischen (und ggf. auch
technischen) Rahmen solcher Technologie zu sprechen.
Über Filter denke ich übrigens genauso wie Du.
>> Nur das Atomkraft seit Jahrzehnten etabliert ist, und es heute
>> niemanden interessiert und die AK-Gegner grundsätzlich erstmal
>> "linke Chaoten" sind.
>
>
>
> Atomkraft ist ja vieles, aber eines ganz bestimmt nicht:
> gesellschaftlich etabliert.
Ich bin der bescheidenen Ansicht, dass ob etwas etabliert ist oder
nicht, nicht davon abhängt was die Leute sagen (man kriegt immer die
Antwort auf die Frage, die man gestellt hat) sondern was die Leute tun.
Und wenn die Leute nunmal Atomstrom konsumieren, im völligen Überschuss
was den Stromhaushalt angeht leben und ihren Präsidenten nicht kräftig
die Füße zertreten, wenn der wieder gegen bestimmte Abkommen verstößt,
Atomwaffen herstellt oder benutzt und neue AKWs baut, dann ist das für
mich schon eine ziemliche etablierte Sache.
(Vielleicht nicht in der Form hier in Deutschland etabliert, aber wenn
wir nun von einer Technologie reden, ist der Ort der Entwicklung usw. ja
im Prinzip auch egal.)
>> Genmanipulation wird vom Laien wohl eh nicht als so wichtig angesehen
>
>
>
> Da habe ich einen völlig entgegengesetzten Eindruck! Kaum ein Mensch
> will genmanipuliertes Essen, gerade deshalb streubt sich die
> Genindustrie ja so gegen Kennzeichnungspflichten.
Naja, genmanipuliertes Essen ist ja mitlerweile normal. Die Frage ist
nur *wie* und in welchem Ausmaß. Letztendlich kommt es den meisten, wie
kann es auch anders sein, darauf an, was billiger ist.
Und das Wollen ist ja sowieso zweitrangig, solange es Abnehmer gibt.
>> und Überwachung? Ach quatsch, das hatten wir in der DDR aber heute
>> haben wir sowas nicht, wir sind im Westen!
>
>
>
> Mein Gefühl: Überwachung des öffentlichen Raumes stößt auf
> erschreckend viel Akzeptanz. Überwachung des privaten Raumes stößt
> auf eine mir oft irrational erscheinende Ablehnung.
Da läuft eben irgendwas ziemlich schief, wundert uns das?
Schönen Tag noch,
Matthias
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