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Re: Linkverfahren: Landgericht Stuttgart am Mittwoch



Am 15 Jun 2005, um 18:07 hat Florian Weimer geschrieben:

> Alvar wurde heute im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Stuttgart
> freigesprochen. Glückwunsch!

Noch ein paar ergaenzende Anmerkungen eines unmittelbar Beteiligten.

> 
> Das Gericht betrachte odem.org und FreedomFone als Einheit, 

Das habe ich nicht so verstanden. Das Gericht hat schon zwischen beiden 
Aspekten differenziert. Freedomfone/Teletrust wurde als ueberspitzt 
dargestellte Meinungsaeusserung gewertet, die einen Beitrag zur 
allgemeinen Diskussion liefert (also wohl staatsbuergerliche 
Aufklaerung), waehrend das Gericht bei odem.org einerseits darauf 
abgestellt hat, dass es sich um eine Berichterstattung ueber Vorgaenge 
des Zeitgeschehens handelt und andererseits um einen Beitrag zur 
staatsbuergerlichen Aufklaerung.

und die
> Links als notwendigen Bestandteil. 

Ja. Das Gericht hat ausdruecklich das Argument aufgenommen, dass der 
Bueger/Nutzer sich nur dann ein umfassendes Bild machen kann, wenn er 
die Moeglichkeit bekommt, sich mit den konkret zu sperrenden Inhalten 
auseinanderzusetzen. Im Zuge einer umfassenden Dokumentation zu den 
Sperrungsverfuegungen ist es deshalb legitim, auch per Link auf die zu 
sperrenden Inhalte/Websites zu verweisen.

Als Einheit betrachtet leistet Alvars
> Arbeit einen nachweisbaren Beitrag zur Meinungsbildung, und sie fällt,
> auch wenn Beihilfe zur Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut
> vorliegen sollte, unter die Ausnahmen von § 86 Abs. 3 StGB, was eine
> Strafbarkeit letztlich verhindert. 

Das Gericht hat an diesem Punkt auch dargelegt, dass nichts dafuer 
spricht, dass Alvar unter dem Vorwand einer Berichterstattung oder 
staatsbuergerlichen Aufklaerung rechte Propaganda verbreitet, sondern, 
dass er tatsaechlich die vom Gesetz privilegierten Ziele verfolgt.

Die Links sind auch als wesentlicher
> Bestandteil zu sehen (genauso wie es notwendig ist, die Webseiten in der
> Urteilsbegründung zu erwähnen, wie der vorsitzende Richter in einem
> Anflug von Selbstbezüglichkeit bemerkte).

Das empfand ich eher als Spitze gegen den Staatsanwalt. Der Blick des 
Vorsitzenden ging auch in diese Richtung.

Anders als es in der Meldung des Heise-Tickers rueberkam, war das 
Gericht im uebrigen sehr wohl der Auffassung, dass die Links 
grundsaetzlich geeignet waren, den Tatbestand von §§ 130, 86 a StGB zu 
erfuellen. Die Strafbarkeit scheitert aber dann letztlich an der 
Sozialadaequanzklausel (86 Abs. 3, 86 a Abs. 3, 130 Abs. 5 StGB).

Es waere also jetzt ein Trugschluss zu glauben, das LG Stuttgart haette 
entschieden, dass Links auf strafbare rechte Seiten grundsaetzlich 
straffrei waeren. Nur dann, wenn solche Links in einen Kontext 
eingebettet sind, der den privilegierten Zwecken dient, die § 86 Abs. 3 
StGB nennt, ist das nach Ansicht des Gerichts straflos und zulaessig.

> 
> Etwas kurios aus Laiensicht fiel die Begründung für den Freispruch in
> Sachen rotten.com aus: Die drei eingebrachten Bilder (Säugling mit
> geöffnetem Brustkorb, der fast vollständig zerstörte Kopf eines
> Unfallopfers, ein asiatisch aussehender vorgeblicher Kannibale, der im
> Begriff ist, in ein abgerissenes Bein zu beißen -- der vorsitzende
> Richter schilderte das recht graphisch) stellten keine Gewaltdarstellung
> nach § 131 StGB dar, weil sie keinen *Vorgang* darstellen, und nicht
> klar ist, ob tatsächlich eine Gewalttat vorliegt, oder ob es sich
> einfach nur um ein ekliges Bild handelt. 

Das erschliesst sich, wenn man einfach mal den Wortlaut von § 131 StGB 
liest. Strafbar ist es nur dann, wenn grausame oder unmenschliche 
Gewalttaetigkeiten gegen Menschen in einer Art geschildert werden, die 
eine Verherrlichung oder Verharmlosung dieser Gewalttaetigkeiten zum 
Ausdruck bringt. Einen solchen Kontext konnte der Vorsitzende Richter - 
zu Recht - nicht erkennen.

Kontext gibt's bei rotten.com

Eben. gerade deshalb ist der Tatbestand ja auch nicht erfuellt. Rotten 
dokumentiert praktisch nur und verbindet das nicht mit einer 
verherrlichenden oder verharmlosenden Begleitkontext.

Aber muendliche Urteilsbegruendungen sind haeufig ein bisschen 
unpraezise, wir werden dann mehr wissen, wenn das schriftliche Urteil 
da ist.


Gruesse

Thomas
Thomas Stadler
ts@xxxxxxxx
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Die Neuauflage 2005: Haftung fuer Informationen im Internet
http://www.afs-rechtsanwaelte.de/Pages/haftung.html
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Rechtsanwaelte Alavi Froesner Stadler
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