Re: softwarepatente / mitentscheidungsverfahren
On 1 Mar 2005, at 12:05, Lutz Donnerhacke wrote:
> * Martin Uecker wrote:
> > Was ist eigentlich schlimm daran, wenn der Ministerrat seinen
> > Standpunkt verabschiedet?
>
> Der Standpunkt ist nicht einstimmig. Es gibt erhebliche interne
> Widerstände. Es widerspricht aus demokratischen Gepflogenheiten, hier
> etwas durchzupeitschen.
>
> > Das EU-Parlament kann doch den Text auch in zweiter Lesung ablehnen
> > oder ändern?
>
> Nur noch ablehnen, IIRC.
Nein. Das Parlament kann Aenderungen vorschlagen (mit der Mehrheit
der Sitze). Wenn der EU-Rat solche vom Parlament vorgeschlagenen
Aenderungen dann nicht will, gibt es ein Vermittlungsverfahren. Wenn
das Vermittlungsverfahren final scheitert, ist die Richtlinie
gescheitert (was nicht so schlimm waere, IMHO, jedenfalls besser als
eine Richtlinie nach der Fassung der 1. Lesung des Parlamentes).
Sooo ungewoehnlich ist das in der Politik uebrigens nicht: In DE kann
das demokratisch gewaehlte Parlament (="Bundestag") was beschliessen,
und ein Haufen nur indirekt demokratisch legitimierter Regierungen
(="Bundesrat") kann das Gesetz (in bestimmten Politikbereichen)
kippen.
Ich schrieb vor einiger Zeit in einer PM an einen Patentgegner:
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Auch ohne das im Einzelnen minutioes anhand der Vertragstexte
nachgerechnet zu haben, bin ich geneigt, Ihnen zu glauben, dass eine
Wiederholung der Abtimmung vom 18. Mai 2004 unter dem neuen Auszaehl-
und Stimmengewichtungsschema nicht zu einer Mehrheit fuer den
gegenwaertigen Rats-Text fuehren wuerde. Und: rein rechtlich gesehen
sind alle EU-Mitgliedsstaaten sicher frei, anders abzustimmen als
beim "Durchwinken" von "A"-Items ueblich. Auch muesste sich rechtlich
kein EU- Mitgliedsstaat an das Abstimmungsverhalten gebunden fuehlen,
welches er im Mai ausgeuebt hatte. Sicherlich koennte ein EU-
Mitgliedsstaat verlangen, ein "A"-Item von der Tagesordnung zu nehmen
oder nochmal als "B"-Item aufzuschnueren.
Aber warum sieht es dann so aus, als ob alle (?) EU-Mitgliedsstaaten
morgen das Spielchen mitmachen wollen? Auch Polen ist auffallend
ruhig geworden. Nach allem, was ich gehoert und gelesen habe, werden
sich die Polen wohl mit einem unilateralen Vermerk im Protokoll
zufriedengeben.
Der Grund hierfuer liegt m.E. in der Unmoeglichkeit, mit dem geradezu
babylonischen Sprachgewirr innerhalb der EU (bei dem die Rechtstexte
in allen EU-Amtssprachen _gleichermassen_ verbindlich sind!) anders
umzugehen als durch eine rechtlich nicht verbindliche politische
Einigung in einer "Pilotsprache", z.B. Englisch (die deshalb nicht
verbindlich sein kann, da sie nicht in allen Sprachen vorliegt), die
von einer Übersetzungsphase mit nachfolgender rein formaler
Bestaetigung des zuvor in der Pilotsprache erzielten und nun in allen
Sprachen vorliegenden politischen Ergebnisses gefolgt wird.
Stellen Sie sich doch mal konkret vor, wie das anders ablaufen
koennte. Vielleicht durch eine Hundertschaft von Uebersetzern, die -
sozusagen "Notebook bei Fuss" - bei EU-Ratssitzungen in einem
Nebensaal geduldig sitzt bis im Haupt-Sitzungssaal die Politik
weitergeht, um dann eifrig den neuesten in die Diskussion
eingebrachten Kompromissvorschlag in alle Sprachen zu uebersetzen und
an die nebenan tagenden Politiker rueckzuuebermitteln. So etwas waere
in jeder Hinsicht voellig unpraktikabel - die Feinheiten der
Uebersetzung muessen oft durch stundenlange Expertendiskussionen
"geglaettet" werden, damit der Sinn in allen Sprachen uebereinstimmt,
soweit das ueberhaupt moeglich ist. Die Folge: EU-Ratssitzungen
wuerden sich wie ein "Konvent" ueber Wochen hinziehen, bis eine
Entscheidung in allen Amtssprachen getroffen ist.
Die "saubere" Loesung waere - wie in meinem Blog ausgefuehrt - die
Aufgabe der Doktrin, dass alle EU-Amtssprachen gleichermassen
verbindlich sind. Wenn man z.B. Englisch als eine Art "Primary
Language" festlegen wuerde, koennte man nach einer politischen
Diskussion in dieser Sprache sofort eine rechtsverbindliche
Abstimmung machen, die den englischen Text endgueltig fixiert. Die
zur Unterrichtung der Bevoelkerung danach rein administrativ
anzufertigenen Uebersetzugen haetten dann nur berichtenden Charakter;
bei Abweichungen waeren die Uebersetzungen anhand des englischen
Originals zu berichtigen. Sowas ist aber derzeit wohl leider nicht
durchsetzbar [...]
Und: Bitte schauen Sie mal kurz ueber den Tellerrand der morgigen
Behandlung der CIIs im EU-Rat hinaus. Glauben Sie im Ernst, man
koennte den Deckel noch geschlossen halten, wenn ein Praezedenzfall
geschaffen wuerde, ein "A"-Item nachtraeglich noch mal
aufzuschnueren? Ein "A"-Item aufzuschnueren heisst, dass der gesamte
administrative und uebersetzungstechnische Zyklus nochmal durchlaufen
werden muesste. Und: Wer garantiert dann noch, dass nach einer
Aufschnuerung und der monatelangen Ubersetzung der nach der
Aufschnuerung neu gefundenen politischen Loesung nicht wiederum
irgendwelche Mitgliedslaender einen Sinneswandel verspueren und
erneut das "Durchwinken" als "A"-Item verweigern?
Ich befuerchte, dass sowas Schule machen wuerde: Verschiedenste
Laender wuerden sich dann nicht mehr an diverse "political
agreements" gebunden fuehlen und der Versuchung erliegen, von der
Schweinebauchfettgehaltsverordnung bis zur Richtlinie ueber
zulaessige Mindest- und Hoechstkruemmungsradien von aus
franzoesischen Besitzungen eingefuehrten Bananen (von der
Badewasserverordnung ganz zu schweigen) alles nochmal in Frage
stellen: Kurz, der EU-Rat waere effektiv handlungsunfaehig.
Ohne ueber irgendwelches privilegiertes Hintergrundwissen zu
verfuegen, vermute ich, dass das alte "Kerneuropa" (hier insbesondere
NL, DE, GB, FR) den Polen hinter den Kulissen ziemlich drastisch
deutlich gemacht hat, dass mit einer erheblichen politischen
Verschnupfung innerhalb der EU zu rechnen waere, falls die polnische
Regierung als "Antrittgeschenk" zu Beginn der EU-Mitgliedschaft
gleich mal die eingefahrenen Procederes im Rat zur Disposition zu
stellen gedenkt.
Fuer mich ist dabei klar, dass bei diesen Ablaeufen im Hintergrund
die im konkreten Fall zu entscheidende Frage der Patentierbarkeit von
computer-implementierten Erfindungen allenfalls eine untergeordnete
Nebenrolle gespielt hat - es ging um die Arbeitsfaehigkeit und das
Selbstverstaendnis des EU-Rates, und um nichts weniger.
Die derzeitigen EU-Vertraege bilden die "Verfassung" der EU, und
darin ist dem Europaeischen Parlament keine wirklich souveraene Rolle
zugewiesen. Das Parlament wirkt nur mit, in vielen Politikbereichen
wird es lediglich gehoert. Nur die EU-Komission kann Vorschlaege fuer
sekundares EU-Recht auf den legislativen Weg bringen. Das kann man
beklagen, aber es ist derzeit einfach so.
Und: Was "Demokratiedefizite" in der EU anbetrifft: Auch in der
Bundesrepublik Deutschland gibt es ein von Regierungen bestuecktes
Gremium, welches demokratische Entscheidungen des frei gewaehlten
Parlamentes (in bestimmten Politikbereichen) blockieren kann:
Landesregierungen --> Bundesrat (blockiert ggfs. den politischen
Willen des Bundestages)
/
Regierungen EU Mitglieder --> EU-Rat (blockiert ggfs. den politischen
Willen des Europaeischen Parlaments)
Das soll nicht heissen, dass ich der Meinung waere, dass wir in der
derzeitigen EU in der besten und demokratischsten aller Welten
angelangt waeren.
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> > Oder bestehen Zweifel, daß sich die dafür notwendige absolute
> > Mehrheit nicht findet?
>
> Exakt.
So isses wohl. Mehrheit der _Sitze_, nicht Mehrheit der anwesenden
Abgeordneten!
Im uebrigen drehen gerade einige Patentgegner durch. Eben las ich:
<URL:http://www.computerwelt.at/detailArticle.asp?a=90519&n=6>
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[...]
Die einzige Lösung auf demokratischem Wege ein gut funktionierendes
Softwarepatent-Recht zu bekommen, heißt: Weg mit McCreevy. Die
Verantwortung für die Richtlinie muss einem EU-Kommissar übergeben
werden, dessen Motivation neutral ist. Wenn 24 von 25 EU-Ländern
unter dem Strich Software importieren müssen und das 25. dagegen der
größte Softwareexporteur der Welt ist, dann muss sich die
Wettbewerbspolitik der EU im Softwaremarkt nach dem Interesse von
Europa im Ganzen richten und nicht nach dem Partikularinteresse eines
Parasiten im Nordwesten.
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Irland="Parasit im Nordwesten"?? Ich glaube, es hackt. Das ist ja
noch tiefer als unter die Guertellinie. <Sarkasmus>Vielleicht moechte
dieser Schurnalistische Stratege, der das verzapft hat, ja gerne die
allseits gefuerchtete oesterreichische Kriegsmarine in Marsch setzen,
um im Dubliner Hafen mal ordentlich Kanonendonner zu
veranstalten.</Sarkasmus>
Im Ernst: Derartige Toene passen m.E. nicht in die EU des
einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Nettes Beispiel uebrigens fuer den Anti-Globalisierungs-Duenkel, der
weite Teile der Antipatentbewegung erfasst hat. Warum sollen die Iren
nicht mit niedrigeren Steuern Investitionen aus den USA anlocken? Ist
das per se unmoralisch? Statt das Modell zu diffamieren, sollte man
auch auf dem Kontinent mal darueber nachdenken, ob man was davon
lernen koennte.
Und: Man mag Mr. McCreevy leiden oder aber auch nicht. Es gibt aber
m.E. keinerlei konkrete Anzeichen dafuer, dass er sich als Sachwalter
Irischer Interessen sieht. Mit dem Eintritt in die EU-Kommission ist
er zu einem EU-Oberpriester geworden wie alle anderen seiner Kollegen
auch. Das ganze Anti-Irland-Gedroehn ist ein ziemlich widerwaertiges
"spin-doctoring"-Produkt aus dem Hause nosoftwarepatents.com.
Selbst phm hat schon versucht, die Notbremse zu ziehen:
<URL:http://lists.ffii.org/pipermail/swpat/2005-February/008490.html>
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"[...] Andererseits sind die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen
dieser parasitaeren Existenzweise Irlands und McCreevys derzeitigem
Handeln sehr duenn, sofern ueberhaupt existent.
Man kann eigentlich nach jetzigem Kenntnisstand kaum McCreevy
irgendetwas nachsagen, schon gar nicht, dass er ein "Microsoft-Mann"
sei. Man kann lediglich vermuten, dass er wegen der Politik seines
Landes befangen ist und wahrscheinlich ebenso wenig wie seine
Vorgaenger (Bolkstein, Monti) willens sein wird, die boesen Geister
der Generaldirektion Binnenmarkt zu verjagen oder in ihrem Treiben zu
baendigen. [...]"
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