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Re: computerimplemetierte Erfindung vs. Software



* Axel H. Horns:

>> Der eigentliche Punkt ist folgender: Wenn ich dieselbe Aufgabe mit
>> einem mehr oder weniger handelsüblichen Allzweckrechner löse, kann ich
>> dann das Patent verletzen?
>
> Nur wenn das System aus Rechner plus Software die Aufgabe auf 
> dieselbe Art loest, d.h. wie sie im Patentanspruch identifiziert wird.

"Dieselbe Art" ist es wohl eher nicht, höchstens mit "dem gleichen
technischen Effekt", allerdings auch nur bei hinreichend abstrakter
Betrachtung.

Bei Computerprogrammen kann man nicht-triviale Transformationen
durchführen, die zwar die Wirkung nach außen erhalten, aber das Innere
komplett ändern (zum Beispiel kann auf kompakten Programmcode, leichte
Verifizierbarkeit der Korrektheit oder hohe Geschwindigkeit der
Verarbeitung hinarbeiten). Nun kann es sicherlich nicht im Sinne des
Patentes liegen, daß es durch solche Transformationen umgegangen
werden kann. Insofern werden die Patentansprüche seit jeher so
unkonkret gefaßt, daß diese Implementierungsdetails wegabstrahiert
werden und hauptsächlich der externe Effekt beschrieben wird. Als
Nebeneffekt profitiert die Öffentlichkeit auch herzlich wenig davon,
daß das Verfahren in dieser Weise im Patent offengelegt wird, da der
Informationswert nicht wesentlich über dem liegt, was man beim
Betrachten der äußeren Wirkung der Erfindung an Erkenntnis gewinnen
kann.

Gerade bei Patenten zu Kodierungsverfahren werden wichtige Parameter,
die ganz erheblich die Eignung des Verfahrens beeinträchtigen und die
nur mit experimentellen Aufwand bestimmbar sind, natürlich *nicht* in
der Patentschrift genannt. Die wesentlichen Forschungsergebnisse
bleiben so der Öffentlichkeit vorenthalten.

Jedenfalls ist "dieselbe Art" ein äußerst dehnbarer Begriff, gerade
weil das Patentsystem diejenigen belohnt, die die Verfahrensweise
möglichst wolkig beschreiben.

> Patente auf computerimplementierte Erfindungen sowie auf 
> computerimplementierbare Erfindungen koennen durch Software verletzt 
> werden.

Das ist sowieso eine Tautologie.

> Man muss bei Patenten unterscheiden:
>
> _Worauf_ kann man ein Patent bekommen? (Recht AUF ein Ptent)
>
> _Welche Rechte_ kann man aus einem erteilten Patent ableiten? (Recht 
> AUS einem Patent)
>
> Wer diese Unterscheidung nicht kapiert oder nicht kapieren will, hat 
> schon den ersten Schritt zum Verstaendnis des Patentrechtes nicht 
> geschafft.

Nun ja, ich kann mich noch so dunkel an das Schlagwort vom
Ambivalenzbereich erinnern, der im wesentlichen darauf beruhte, daß
man beim ersten Punkt schlecht zwischen Software und Nicht-Software
trennen kann. Daß das bei der Wirkung des Patents sehr wohl möglich
wäre, wurde ziemlich geflissentlich ignoriert.

> Irgendwie ist das schon seltsam: In den 90er Jahren hatten die 
> Juristen (ich rede von "Juristen" im allgemeinen, nicht von 
> Patentrechtsexperten) keine Ahnung vom Internet, und infolgedessen 
> wurden grauenhafte Entscheidungen gefaellt (CompuServe-Fall, fruehe 
> Domainnamen-Rechtsprechung usw.).

Ich bin inzwischen der Überzeugung, daß das ursprüngliche
Compuserve-Urteil in seiner beabsichtigten Wirkung so falsch nicht
war, und bedauere sehr, daß man hierzulande AOL als gesellschaftsfähig
ansieht, obwohl eine 71-prozentige Tochter des Time-Warner-Konzerns
seit eh und je die Anbindung für Stormfront bereitstellt. Juristisch
ist da inzwischen leider nichts zu machen. 8-(

> Soziologisch gesehen dieselbe Kohorte von Internet-Techies, die in 
> den 90er Jahren mit hohem aufklaererischen Anspruch den Juristen die 
> Technik erklaeren wollten, ziehen sich heute immer mehr nach einer 
> deutlich wahrnehmbaren Regression (Symptom: Allgemeines Lawyer-
> Bashing, nicht nur gegen Patentanwaelte) auf eine Haltung des 
> "ignoramus et ignorabimus" in allen Rechtsfragen, die das Internet 
> beruehren, zurueck. Es besteht insbesondere kaum noch eine 
> Bereitschaft, die Grundlagen des Patentrechtes mit dem gleichen 
> Impetus zu lernen wie die Details eines Routing-Protokolls. 

"Die" Grundlagen des Patentrechts gibt es gar nicht. Trotz aller
Harmonisierungsbestrebungen gibt es immer noch den fundamentalen
Unterschied zwischen dem Naturrecht auf (geistigem) Eigentum auf der
einen Seite und der Auffassung, daß der Staat zur Förderung des
Fortschritts Monopolschutz für Erfindungen gewährt. Die Verteidigung
da Patente in Europa scheint sich aber, unserer Zeit angemessen,
weitgehend auf ökonomische Argumente zu stützen (weil die
Naturrechtsargumentation wohl ein bißchen zu heikel ist).

Was mich bei der Patentgeschichte stört und warum ich das ganze nicht
völlig ernstnehmen kann, ist die starke Belohnung von Verhalten, daß
der Allgemeinheit zum Nachteil gereicht (z.B. ist ein Patent aus sicht
des Patentsystems umso besser, je weniger konkret es ist). Bei BGP
(dem Internet-Routing-Protokoll) gibt es zwar genau einen solchen
Effekt (wer Präfixe nich aggregiert, bekommt für sich ein flexibleres
Routing, sorgt aber dafür, daß die Routing-Tabelle für alle größer und
schwieriger zu handhaben wird). Aber daß die Leute darunter leiden,
liegt hauptsächlich daran, daß die Routing-Tabelle gerade in Routern
für sechsstellige Euro-Beträge bis vor kurzem noch von CPUs
verarbeitet wurde, die nicht unbedingt schneller als das sind, was
damals in einem PDA verbaut wird.

Einen wichtigen Unterschied gibt es aber dennoch: Bei BGP kann man
*nachschauen* (die eigene Sicht reicht zwar nicht ganz aus, aber viele
autonome Systeme haben Route-Server, die zusammen eine annäherend
globale Sicht ermöglichen), wo die Probleme liegen und sie
quantifizieren. Beim Patentsystem ist die zugrundeliegende Theorie
reichlich nicht-emprisch (das gilt insbesondere für die
Naturrechtsthese).

> Stattdessen versucht man es "spiegelbildlich" mit einer Art von 
> komplementaerer Fundamentalopposition, die sich mit derjenigen 
> vergleichen lassen kann, die in den 90er Jahren manche Politiker von 
> Kanther bis zu bestimmten CSU-Leuten andersherum an den Tag gelegt 
> hatten, naemlich dass das Internet boese sei und dass man es 
> eigentlich nicht haben wolle.

Ich kann die analoge Einstellung zu Patenten durchaus nachvollziehen,
weil sie direkt in *mein* Eigentum an *meinen* persönlich-geistigen
Schöpfungen eingreift. Ich sehe nicht ein, warum das, was ich ganz
allein produzierte, nicht mir gehören soll.

Wie Rigo schon schrieb: Wenn es eine Möglichkeit gäbe, rasch
herauszubekommen, ob die Idee schon jemand anderem gehört, wäre alles
nicht so schlimm, nur ein wenig frustrierend. Es könnte womöglich
sogar so etwas wie kreatives Potential freigelegt werden. Da es diesen
Lackmustest aber nicht gibt (und es offenbar sogar politisch gewollt
ist, daß das Patentsystem diese Sicherheit nicht liefert), fällt aber
jeglicher Ansporn in dieser Richtung weg.

> Diese Leute wollten das durch das Internet freigesetzte
> Emanzipationspotential nicht und waren daher voellig
> beratungsresistent, wenn man ihnen versuchte, die Implikationen der
> technischen Architektur des Internet auf die Rechtspflege zu
> erklaeren.

Ich sehe das Innovationspotential einfacher nicht. Das fängt schon
dort an, daß im Konfliktfall deutsche Patente in den USA oder Kanada
eh nix wert sind, hierzulande aber die meisten Patente ausländischen
Unternehmen gehören. Die einzigen, die Patente im größerum Umfang
durchsetzen können, sind reine Lizensierungsbüros, weil gegen diese
die übliche Absicherung gegen Patente (Gegner mit den eigenen Patenten
plattmachen) nicht greift. Ob die Gravenreuth'sche Alternativstrategie
(wir gehen gegen gewerbliche Verletzer, die eigentlich Endkunden sind,
vor, die dann wiederum den Lieferanten in Regreß nehmen) in diesem
Punkt funktioniert bzw. gar legal ist, ist mehr als fraglich.

Wenn wir eine empirische ökonomische Theorie des Patentwesens hätten,
könnten wir viele Frage klären (z.B. einfach in dem wir freie Software
als zusätzlichen Marktteilnehmer modellieren und schauen, was
passiert), aber ohne so etwas beruht das ganze doch größtenteils auf
Wunschdenken und wackligen Vorhersagen, und zwar auf beiden Seiten.
Bei der Klimadebatte gibt es dasselbe Problem (für die Modelle, die
wir haben, sind die wichtigen Parameter nicht wirklich durch
Beobachtung zu ermitteln). Dort gibt es aber immerhin Regierungen, die
die extremen Positionen vertreten (Klimaschutz vs. Wirtschaftsschutz).
Internationale Verträge taugen dort wenigstens nicht mehr zum Abtöten
der politischen Debatte.

> So, wie die Schose jetzt laeuft, ist das, was von 
> Seiten der Anti-Patent-Bewegung kommt, reiner Populismus, allerdings 
> auf maximalen Effekt kalkuliert und professionell durchgezogen. Mit 
> Aufklaerung hat das allerdings nichts mehr zu tun.

Die ursprünglichen Argumente der Patent-Bewegung waren aber auch nicht
gerade diskursfähig:

  - "Ihr habt keine Ahnung, weil Ihr unser schlecht dokumentiertes
    Kürzel-System zur Beschreibung des Status eines Dokumentes
    (Einreichung vs. erteilte Fassung) nicht durchschaut. Mit Euch
    reden wir nicht, weil das sinnlos ist."

  - "Es handelt sich beim Patentrecht lediglich um die Verwicklichung
    eines Naturrechts."

  - "Es wird lediglich die gängie Praxis beschrieben. Es ändert sich
    eigentlich gar nichts."

  - "Wir können nichts ändern, weil wir durch internationale Verträge
    gebunden sind."

  - "Wir können nichts ändern, weil es den Ambivalenzbereich gibt und
    keine Unterscheidung zwischen CI und nicht-CI möglich ist."

Angesichts dieser Dogmatik muß es nicht wirklich überraschen, daß die
Gegenseite zum Generalangriff bläst. Hätte man von Anfang an auf eine
differenzierte Betrachtung gesetzt (z.B. "beim Patent können wir nicht
unterscheiden, wohl aber bei der Wirkung des Patents" -- oder einfach
so simple Dinge sauber beschrieben, wie z.B. die Klassifizierung von
Schriften durch die Patentämter), hätte sich eine konstruktivere
Diskussion entwickeln können.

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