Re: computerimplemetierte Erfindung vs. Software
On 20 Sep 2004, at 11:43, Rigo Wenning wrote:
> Axel,
> Ich finde die Frage berechtigt, denn ich bin fast jeden Tag mit
> IT-Patenten konfrontiert, die zu breit sind. Gibt es eigentlich eine
> Sanktion gegen zu breite Anträge oder arbeiten die Ämter mit
> geltungserhaltender Reduktion?
Also: Wenn ich mich hinsetze und fuer einen Mandanten eine
Patentanmeldung abfasse, weiss ich nicht, was der naechstkommende
Stand der Technik ist. Der Mandant ist auch nicht verpflichtet, mich
fuer eine Recherche nach dem Stand der Technik zu bezahlen, denn das
ist ja eigentlich der Job des Patentamtes - dafuer bezahlt der
Mandant dann ja Recherche- und Pruefungsgebuehren an das Amt.
Wenn ich (als Patentanwalt) nun aber nicht weiss, was am Ende des
Pruefungsverfahrens als Stand der Technik im Verfahren sein wird,
muss ich erstmal den Patentanspruch so breit machen, dass ich dem
Mandanten nichts verbaue. Es macht aber andererseits auch keinen
Sinn, den unabhaengigen Patentanspruch zu breit zu machen. Ein
fiktiver Stand der Technik, von dem ich weiss, dass er existiert oder
den ich mir erforderlichenfalls ad hoc aus einer Datenbank hole,
dient als Ausgangspunkt fuer den Entwurf der Patentansprueche,
insbesondere fuer den unabhaengigen Patentanspruch.
Nachdem das Amt die Recherche gemacht hat und in die Sachpruefung
eingetreten ist, zeigt sich in den allermeisten Faellen, dass es dem
mit der Anmeldung eingereichten Entwurfspatentanspruch an
erfinderischer Taetigkeit oder gar an Neuheit fehlt. In diesem Falle
stimme ich zusammen mit dem Mandanten ab, welches zusaetzliche
Merkmal / welche zusaetzlichen Merkmale in den Patentanspruch
aufgenommen werden sollen, damit sich dessen Gegenstand deutlicher
vom Stand der Technik absetzt. Dadurch wird der Schutzbereich des
Patentanspruches enger. Selbstverstaendlich kann ich nur solche
Merkmale nachtraeglich in den Patentanspruch aufnehmen, die in der
urspruenglich eingereichten Fassung offenbart waren.
Einen derartigen durch Einfuegung von zusaetzlichen Merkmalen
beschraenkten Patentanspruch reiche ich dann zusammen mit einm den
geaenderten Anspruch erlaeuternden Brief an das Patentamt weiter.
Der Pruefer hat dann die Wahl, meinen geaenderten Patentanspruch zu
akzeptieren und ein Patent darauf zu erteilen oder aber den
geaenderten Patentanspruch wiederum zu beanstanden. Dieses Spielchen
kann sich einige Male wiederholen, bis es zu einer Erteilung oder
einer Zurueckweisung kommt.
Ich sehe keine Probleme darin, mit einem breiten Anspruch in das
Patentpruefungsverfahren hineinzugehen, vorausgesetzt, das Amt macht
seinen Job und haut mir dann den entgegenstehenden Stand der Technik
um die Ohren, so dass ich dem Mandanten sagen kann, inwieweit der
unabhaengige Patentanspruch eingeschraenkt werden muss, um zu einem
Patent zu gelangen.
Manchmal kommt es auch vor, dass der Pruefer glaubt, ein Stand der
Technik sei patenthindernd, wobei der Mandant aber meint, der Pruefer
habe irgendwas nicht richtig verstanden. Dann schreibe ich eine
Eingabe und erlaeutere dem Pruefer das technische Verstaendnis der
Erfindung gegenueber dem vorgebrachten Stand der Technik aus der
Sicht des Mandanten. Manchmal kommt es auch zu einer muendlichen
Verhandlung, in der strittige Verstaendnisfragen besonders effizient
geklaert werden koennen (nicht immer zu Gunsten des Mandanten!).
> Insofern frage ich mich gerade, ob es einen Patentschutz für _jede_
> Verwendung eines Algorithmus geben muß, oder ob es eine bestimmte
> _Zweckbindung_ ermöglichen würde, die Dinge enger zu fassen.
Die Zweckbindung ist am Wortlaut des Patentanspruches erkennbar. Ein
Anspruch mit dem Oberbegriff "Aufzugsanlage ..." identifiziert eben
eine monopolisierte technische Lehre fuer eine Aufzugsanlage, nicht
fuer eine Bergbahn. Aber Vorsicht: Nicht jede Verwendungsangabe in
einem Anspruch ist eine Beschraenkung, z.B. "Fahrstuhlsystem zur
effizienten Abbremsung von Fahrstuehlen in einem Hochhaus ..."
Im Uebrigen darf man sich sowas auch nicht zu sehr mathematisch-
abstrakt vorstellen. Um einen Aufzug ruckfrei zu machen, braucht man
nicht nur eine Gleichung aus der klassischen Physik, die man in einen
rein numerischen "Algorithmus" umwandelt. Um einen "real-world"
Aufzug ruckfrei zu machen, braucht man Sensoren, die Ort,
Geschwindigkeit, Beschleunigung der Fahrstuhlkabine messen und
Aktuatoren, die die Ergebnisse numerischer Berechnungen in
Motorbewegungen umsetzen. Gerade die Sensoren und Aktuatoren bzw.
deren Anordnung sind aber das, wo oft Gehirnschmalz drinsteckt: Man
will mit moeglichst wenigen und moeglichst billigen Sensoren /
Aktuatoren auskommen. Und dann soll da nicht nur eine Fahrstuhlkabine
in einem Experimentalschacht 1x ruckfrei abgebremst werden, um das
Prinzip zu zeigen, sondern in einem 100-stoeckigen Hochhaus sollen
moeglichst wenige Aufzuege ruckfrei gesteuert werden, d.h. das
ruckfreie Steuern mit weichem Bremsen soll moeglichst nicht zu einer
Verlaengerung der Gesamtfahrzeit fuehren, die letztlich die
Kapazitaet des Gesamtsystems mindern wuerde, so dass man mehr
Fahrstuhlschaechte zu bauen haette. Alle diese Randbedingungen bieten
viel Raum fuer Empirie, ausprobieren und erfinderische Loesungen ...
--AHH
--
To unsubscribe, e-mail: debate-unsubscribe@xxxxxxxxxxxxxx
For additional commands, e-mail: debate-help@xxxxxxxxxxxxxx