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Re: Amitai Etzioni zu Vollanonymitaet und SPAM



Hallo Liste,

Thursday, January 29, 2004, 11:14:12 PM, Florian Laws wrote:

...
> Warum werden in der Kopierschutz-Diskussion eigentlich immer die
> grossen bösen Majors mit ihrem musikalischen Fastfood angeführt?

Weil das der Markt ist, von dem die "öffentlichen" Zahlen stammen.

> Zwischen den Bands (und ihren Mikro-Labels), die dermassen undergroundig
> sind, dass man gar keine Wahl hat, als ihre Platten zu kaufen, weil
> man sie im P2P-Netz of the day überhaupt nicht findet, auf der einen

Das stimmt so auch nicht. Zahlreiche "Microlabels" haben das Netz
schon länger als Promotion- und Vertriebsplattform erkannt.
Gerade weil sie so die Chance haben ihre Künstler einem grösseren
Publikum vorzustellen _ohne_ Unsummen fuer Promo auszugeben.

Man bekommt sogar eine ungefähre Ahnung, welche Kleinstauflagen man
sich doch besser spart, weil der Künstler draussen nicht so ankommt.
Sicher, diese Musik wird auch vermehrt schwarz kopiert, die Fans
kaufen die Platten (ja, Platten!) aber trotzdem, die Umsätze steigen.

Auf der andere Seite ist natürlich ein gewisses Interesse an der je-
weiligen Musik nötig. Es wird weniger oder gar nichts kanalisiert
(Zwangs"mittler"), sie wird einem nicht aufgenötigt. Das ist eine ganz
andere Qualität. Das ist ein Feature, kein Bug:

  "Das Internet ist ein Gottesgeschenk, da jeder Mensch dort Musik
  nach seinem Geschmack finden kann." Diese Potenzial habe die
  Musikbranche nicht ausreichend erkannt. Plattenfirmen hätten "das
  Problem einer Industrie, der es zu gut gegangen ist".
                      -- Tim Renner (in Kürze Ex-Universal-Chef) [0]

> und den grossen bösen Majors auf der anderen Seite, gibt es einen ganzen
> Haufen von ich nenne sie mal "mittelständischen" Plattenlabels,
> denen die ganze Kopiererei ebenfalls empfindliche Einbussen zufügt.

Ganz unabhängig von der Frage, wer und wieviel an Musik/Kunst ver-
dient werden soll und das man offenbar eine Seifenblase geschaffen
hat, die so langsam platzt, bzw. der Mittlerdiskussion generell:

Das ist die Smudo-Argumentation [1], die in Teilen nachvollziehbar
ist. Allerdings hängt diese vor allem an daran, dass die Promotion
(sündteure Videos und Senderbepuschelung, siehe auch den Viva/Uni-
versal-Skandal letztens [2], wo klar wurde, was die MI unter "re-
daktioneller Unabhängigkeit" versteht.) eines neuen Künstlers in-
zwischen so kostspielig geworden ist, dass man auf jeden Cent ange-
wiesen ist.

  Gute Airplayplätze sind echt teuer geworden, ohne die geht aber kaum
  noch was. Übrigens einer der Gründe, warum zunehmend die Forderung
  laut wird, Airplay bei der Chartbestimmung nicht mehr so stark zu
  gewichten. Andererseits, wer braucht eigentlich Charts? Helfen die
  wirklich bei der Suche nach Musik, die einem gefällt? Oder sind sie
  eher ein Instrument der Konsensgesellschaft und helfen bei der Be-
  stimmung eines gemeinsamen Diskussionsthemas ("Dieser schreckliche
  Daniel K., hast du den gehört") -> Gruppenzwang [3]?

Allerdings dient genau diese Art der Promotion dazu einen Künstler
(schnell) auf den "Fastfood"-Markt zu bringen [4]. Ich frage mich
wirklich, ob das immer erstrebenswert ist, oder ob es nicht vielleicht
natürlichere Wege gibt einen Kuenstler "nachhaltig" aufzubauen.

Das Netz, bzw. (Fan-)Netzwerke allgemein, bieten hier interessante
Möglichkeiten. Für Label, die sich als Durchlauferhitzer betätigen
und die schnelle Mark machen wollen, sind solche Modelle allerdings
weniger interessant.

Diese Netzwerke haben aber einen kleinen Haken, sie sind oftmals
schrecklich dynamisch und schlecht steuerbar, was natuerlich mit
einem unangenehmen Kontrollverlust fuer die "Mittler" verbunden
ist und tlw. auch ihre Existenz in Frage stellt.

Es stellt sich damit schliesslich die Frage, welche Aufgaben "Mittler"
in Zukunft noch sinnvoll wahrnehmen können [5]. Eine aus reinem
Selbsterhaltungtrieb motivierte Erhaltung überholter und hinfällig ge-
wordenen Strukturen mag mittelfristig noch durch restriktive Gesetze
(imo wird das Urheberrecht hier pervertiert) möglich sein, ist aber
trotzdem unsinnig und kaum vermittelbar. Im Sinne von Kunst und Kultur
ist sie ohnehin nicht.

MfG
 Olaf

[0] 
http://www.mediabiz.de/newsvoll.afp?Nnr=148110&Biz=mediabiz&Premium=N&Navi=00000000&T=1
[1] http://www.fitug.de/debate/0008/msg00306.html
[2] http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/405/23382/
[3] Und natürlich macht es auch irgendwie Sinn, wenn auf Malle, der
    Karnevalssitzung oder in der Disse alle das gleiche Lied gröhlen.
[4] Vergleiche: Fleischproduktion in Mastbetrieben/Übersättigung des
    Fleischmarktes und die krampfhaften Bemühungen der Produzenten
    diesen Zustand aufrechtzuerhalten.
[5] Und weil es so schön ist und auch hier passt:

    »Die Internet-Entwicklung gibt ihm [dem Internet-Nutzer]
    unweigerlich die Kontrolle darüber, welche Informationen und
    Inhalte ihn wann und wie erreichen. Das neue Medium ist nicht mehr
    auf Vermittler wie Verlage, Sender, Zeitungen oder die
    Musikindustrie angewiesen. Im Internet wird eine
    'Massenkommunikation' von Individuum zu Individuum möglich. Auf
    diese Entwicklung hin zur Nutzerkontrolle sind wir bisher nicht
    vorbereitet. Wir müssen neue Regulierungsmechanismen entwickeln.«

    Dr. Marcel Machill, Jens Waltermann: Verantwortung im Internet,
    Selbstregulierung und Jugendschutz, Seite 9f.; Verlag Bertelsmann
    Stiftung, Gütersloh 2000

-- 
Die große Furcht der Labels ist, dass Internet-Radio keine
Nachfrage erzeugt, sondern Nachfrage befriedigt."
   -- Ted Cohen, EMI



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