Re: Amitai Etzioni zu Vollanonymitaet und SPAM
On Tuesday 27 January 2004 19:53, Hartmut Pilch wrote:
> Wenn ich RIAA waere, wuerde ich solche Systeme als Alternative aufbauen
> und damit die bestehenden Systeme von 2 Seiten angreifen (Konkurrenz +
> gesetzliche Auflagen).
>
> Tun die so etwas vielleicht schon ?
Nein. Das ist ja das Problem.
Bauen wir die aktuelle Situation aus Kundensicht doch einmal schrittweise
auseinander:
Die sogenannten legalen Anbieter setzen derzeit auf "legale Downloads" aus
ihren propietären Downloadplattformen. Diese haben alle Formate mit Digital
Restriction Management, sind also mit Open Source nicht kompatibel und somit
meist nur auf Windows abspielbar. Tatsächlich sind eine ganze Menge Shops
gleich so gestaltet, daß sie nur mit Windows und dort nur mit der
Sicherheitslücke MSIE benutzbar sind.
Ich persönlich KANN dort schon gar nicht Kunde werden. Ich habe
seit Ende 1992 kein Windows mehr im Einsatz.
Die meisten dieser Downloadplattformen sind außerdem für Europäer gar
Afrikaner gar nicht nutzbar. Hier hat sich die Lobby in ihrem
Rechtemanagementwahn komplett in eine Ecke gemalt und bekommt neben der
Technik auch die Juristerei nicht auf die Reihe. Angeblich gibt es derzeit 25
Downloadplattformen für Europäer. Macht doch mal eine Liste - welche kennt
ihr? Welche dieser Plattformen habt ihr in der Werbung gesehen? Oder in
Zeitungsartikeln? Und wieviele Artikel über Kazaa, Bittorrent oder den Esel
habt ihr in den letzten 7 Tagen gesehen, an die Ihr Euch erinnern könnt?
Das heißt, der ganze legendäre legale Contentreichtum steht
derzeit im Grunde nur US-Bürgern zur Verfügung. Wenn er
Europäern zur Verfügung steht, wird er nicht aktiv beworben.
Auch der vorgerippte Content, der als Entschädigung für die
CDDA-Standardverletzung auf vielen CDs mitgeliefert wird, ist in der Regel
mit einem Restriction Management System festgekettet und in Folge nur mit dem
auf der CD mitgelieferten Player abspielbar. Als Kunde muß ich mir also eine
Sammlung von inkompatiblen Softwareplayern installieren (so ich ein
Betriebssystem habe, auf dem diese laufen), um diesen Content nutzen zu
können. Das ist nicht nur eine logistische Aufgabe, sie wird auch schwieriger
- oder meinst Du, daß alle diese Player auf Windows 2006 noch laufen werden?
Was ist dann mit dem Content?
Das heißt, bei dem ganzen Restriction-Geraffel handle ich mir
nicht EINEN Player ein, sondern eine Sammlung von Playern,
die speziell auf meiner Plattform ALLE nicht funktionieren.
Tatsächlich ist das einzige Format, daß alle Player uneingeschränkt
abspielen können, das MP3-Format ohne Digital Restriction
Management.
Das ist ein echtes Problem. Die Situation: "Um diesen Titel abspielen zu
können, muß jenen Player verwenden. Diesen anderen Titel kann ich jedoch nur
in dem Player da abspielen." Jetzt mach mal eine Party: "Mache bitte eine
durchlaufende Playlist mit Überblendungen von allen diesen Titeln." Noch
besser: laß die Gäste auf der Party die Playlist selber manipulieren. Was
glaubst Du, was solche Playerwechsel mit Deiner Party machen?
Das heißt, Digital Restriction Management in seiner aktuellen
Ausprägung versaut mir jede Party (aber ich brauche wahrscheinlich
sowieso einen speziellen Party-Player mit speziellen Party-Lizenzen
für die Beschallung, um zu mehreren Spaß haben zu dürfen.
Weiter: Die Downloadplattformen der Anbieter blockieren einander nicht nur mit
inkompatiblen Softwareplayern auf dem PC. Sie schließen sich auch selber
bestimmte Kundenkreise aus, wenn der Kunde zusätzlich noch darauf achten, daß
er einen (portablen Hardware-) Player hat, der das Restricted Format der
Downloadplattform x mit unterstützt.
Das heißt, wenn ich Content haben will, der Mobil sicher funktioniert,
muß ich MP3 klauen.
An weitergehende kreative Anwendungen - Sampling, Mixes, Dubbing und so weiter
- braucht man bei Restricted Content gar nicht zu denken.
Wir lernen: Nur wer Content aus P2P-Netzen bezieht oder selber
rippt, kommt an eine Sammlung von Musikstücken,
- die über Player- und Betriebssystemgrenzen hinweg
portabel abspielbar ist,
- die kreativ einsetzbar ist
- und die zukunftssicher ist.
Kauf-Musik mit Restriction Management hat keine Value Proposition für mich als
Kunde, insbesondere erwerbe ich keine Werte. Ich kann Geld, daß ich dort
ausgebe, gleich als ca. Dreijahresmiete für das "gekaufte" Downloadstück
abschreiben. Danach gehen die Player nicht mehr und Ersatz gibt es nicht,
remote Restriction Management Sites sind nicht mehr erreichbar oder existent,
die Platte meines Rechners hat sich zerlegt (und zwar gerade der Teil mit der
Keysammlung, sodaß die eigentlichen Downloads sich in wertlosen
Bitschrottverwandeln) oder das fragile Gerümpel fällt aus einem anderen Grund
in sich zusammen.
Zum Vergleich: Meine CD-Sammlung hier geht jetzt bald zweilagig
einmal die Wand meines Zimmers lang, das sind etwa 6 Meter CDs
dicht an dicht gestapelt. Die Ältesten dieser CDs sind von irgendwann
aus den 80ern. Was glaubst Du ist mit meiner Investition in heutige
Download-Plattformen im Jahre 2024 los, oder auch nur 2014?
Was ist für mich als Käufer und Sammler die bessere Investition?
Ich bin als Musik-Kunde so doch zwingend auf CDDA oder P2P-MP3s angewiesen.
Alles andere wäre sträfliche Dummheit von meiner Seite.
CDDA wird zunehmend nicht mehr angeboten.
Die Reaktion der Kunden ist nur folgerichtig.
Die Lobbyorganisationen und Verwertungsoligopole setzt auf Kriminalisierung
der Nutzer. Sie HAT keine Alternative. Es ist auch keine Alternative
absehbar. Die einzige Quelle für funktionierende und portable Musik sind P2P
Netze.
Das ruft besser anonymisierende und besser verteilende Netze hervor.
Dankenswerterweise erhöht sich der Druck auf P2P-Nutzer auch nur schrittweise,
sodaß die P2P-Nutzer und Entwickler in aller Ruhe eine Sequenz von
P2P-Systemen mit jeweils einer Laufzeit von 1-2 Jahren austesten können, dann
neue Angriffe auf diese Netze seitens der Verwertungsoligopole beobachten
können, und schließlich in relativer Ruhe neue, verbesserte P2P-Plattformen
deployen können.
Das ist exakt derselbe Prozeß, den die IETF mit den RFCs getestet und als
extrem brauchbaren Prozeß für die Entwicklung von funktionierenden und
robusten Protokollen erkannt hat, nur daß das hier durch externen
juristischen Druck motiviert und angetrieben wird.
Die beobachtete Entwicklung ist zwingend.
> Ich frage hier u.a. ziemlich viel, weil ich Positionen zur anliegenden
> Durchsetzungs-Rundumschlag-Richtlinie ausarbeiten muss, die von
> Herstellern proprietaerer Informationen mitgetragen werden muessen.
Es ist egal. Eine solche Richtlinie sorgt nur für den notwendigen Druck, der
das Deployment der nächsten Runde P2P-Systeme lostreten wird.
Ende 1998 entstand Napster. Das war der Zeitpunkt, zu dem die Anbieter von
Musik hätten reagieren müssen und zu dem sie sich mit dem oben genannten
Problemen hätten auseinandersetzen müssen - einheitliche Player,
einheitliches Restriction Management, dauerhafte Value Proposition.
Dazu ein Marketing, das auf Vertrauen und partnerschaftlichem Kundenverhältnis
beruht, statt auf Klagewellen gegen die Leute, die deren Jobs finanzieren
sollten.
Stattdessen hat eine ganze Industrie 5 Jahre lang gepennt.
Game Over.
Oder siehst Du irgendeinen Weg, der aus dieser Sackgasse herausführt? Der
Kunden davon überzeugen könnte, daß Restricted Content eine Geldausgabe wert
ist?
Kristian
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