Re: Soll das patentierbar sein? Was soll patentierbar sein?
Florian Laws schrieb:
> Ich habe mal von einem Mittelständler im CAD/CAM-Bereich gehört, die
> vom Marktführer vor die Wahl gestellt wurden: Entweder Ihr lasst Euch
> aufkaufen, oder wir reimplementieren Eure Software.
Ja, und? Die Entwickler des Markführers werden dabei genausoviele
Überstunden machen wie jene des Mittelständlers, von dem das Original
stammt. Aus einer gründlichen Analyse des Originals im Rahmen des
urheberrechtlich Erlaubten gewinnen sie vielleicht eine umfassende
Featureliste und ein paar Anregungen für das User Interface. Mehr
aber auch nicht; implementieren, testen und gegebenenfalls optimieren
müssen sie es immer noch selbst. Das macht richtig Arbeit, und wenn
man zweitklassige Programmierer ransetzt, geht es auch mit Vorlage
richtig in die Hose.
Unterwegs werden die Entwickler des Marktführers vieles auf die harte
Tour lernen, was die Entwickler des Mittelständlers längst wissen,
weil sie es genauso gelernt haben. Sie werden aber unter erschwerten
Bedingungen arbeiten, zum einen, weil sie sich an der bereits
existierenden Software des Mittelständlers messen lassen müssen, zum
anderen, weil sie beim Marktführer wahrscheinlich in einem größeren
Team mit mehr Management arbeiten müssen.
Echte Vorteile hat der Marktführer weniger in der Entwicklung --
mehr Manpower ist nicht immer hilfreich -- als in den Randgebieten,
die für den Verkaufserfolg entscheidend sind: Marketing, Vertrieb,
Support, technische Dokumentation, etc. Diese Vorteile kommen aber
in jeder Konkurrenzsituation zwischen einem Mittelständler und
einem Riesen zum tragen und dürften sich kaum mit Patenten beseitigen
lassen.
Im Gegensatz zur Reimplementierung durch den Marktführer schaffen
Lizenzgebühren für eventuelle Patentnutzungen auch keine Arbeitsplätze,
sondern erhöhen nur den Gewinn. Der Mittelständler fährt dann nämlich
am besten, wenn er seine Entwicklungsabteilung komplett an den Großen
verkauft, wo sie dasselbe noch einmal aufschreibt, und sich bis auf ein
kleines Büro zur Verwaltung der Lizenzeinnahmen in Wohlgefallen auflöst.
So richtig schlecht geht es dem Mittelständler eigentlich nur, wenn
seine Entwickler ohne Kompensation zum Markführer überlaufen. Patente
als Ersatz für ein gutes Betriebsklima?
Man beachte auch, daß der Mittelständler wie auch der Große dabei nur
in geringem Umfang Investitionsgüter anschaffen müssen. Jedes beliebige
Zwischenstadium der Softwareentwicklung ist gleichzeitig ein Prototyp;
man muß nicht erst etwas herstellen, um ihn zu testen. Wenn die Ent-
wicklung abgeschlossen ist, ist das Produkt fertig und in beliebig
vielen Exemplaren verfügbar; man braucht keine Produktionshallen und
-anlagen zur Vervielfältigung. Statt dessen muß man nach der Fertig-
stellung Serviceleistungen ungefähr auf dem Niveau bieten, das Airlines
von ihren Flugzeugherstellern bekommen. Die Anwender brauchen Wartung,
Anpassungen, Bugfixes, Beratung, Schulung. Airbus, Boeing & Co. schicken
dir gern jemanden vorbei, der zum Beispiel den Zustand deiner Flotte
beurteilt oder deine Wartungsprozeduren auf Tauglichkeit und Handbuch-
konformität überprüft. Genauso schickt dir jeder vernünftige Software-
produzent gern jemanden vorbei, der dich vor, während und nach der
Einführung seines Systems berät oder dein Personal schult.
Für solche Services fließt auch ordentlich Geld; ich habe erst letzte
Woche in einer unverschämt teuren Schulung gesessen, die mir den Umgang
mit einem einzigen, extrem hersteller- und produktspezifischen Entwick-
lungswerkzeug nahebringen sollte. Die Software als solche wird dabei
tendenziell unbedeutend, sie ist nur noch der Aufhänger für den Ver-
kauf der Dienstleistungen, mit denen tatsächlich Geld verdient wird.
Das kann man bei den Betriebssystemen sehr schön sehen. Wir bezahlen
Microsoft, RedHat, Sun oder SuSE (in alphabetischer Reihenfolge :))
längst nicht mehr dafür, daß sie uns Software verkaufen. Sondern für
das Versprechen, uns für soundsoviel Jahre Bugfixes und Sicherheits-
updates zu liefern, ans Telefon zu gehen, wenn wir ein Problem haben,
und im Ernstfall jemanden vorbeizuschicken. Übungsaufgabe bis Don-
nerstag: Worauf müßte man ein Patent haben, um den Betriebssystemmarkt
ordentlich aufzumischen?
Gruß
Sven
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