Re: Re: Lässt sich das patentieren?
On 20 Sep 2003, at 4:36, Heiko Recktenwald wrote:
> Es ist naemlich ein Unterschied, ob Kapitalismus mit den vorhandenen
> Guetern betrieben wird, oder ob, wie im Fall der Softwarepatente, noch
> ein wenig "Landnahme" dazukommt. Es geht doch nicht um den
> Kapitalismus schlechthin, sondern um die Privatisierung bisher ganz
> eindeutig oeffentlicher Gueter.
Wer im Zusammenhang mit Patenten von "Landnahme" redet, ist schon auf
die Eurolinux-Desinformationskampagne hereingefallen. Es gibt im
Patenrecht keine "Landnahme", weil ohnehin nur _neue_ Erfindungen
patentierbar sind. Ein Erfinder muss also erst einmal irgendwo ein
Inselchen einer neuen technischen Lehre durch eigene Kreativitaet
aufschuetten und trockenlegen, wo vorher nur Wasser war, bevor er
oder sein Rechtsnachfolger als Patentanmelder taetig werden kann.
Bevor der Erfinder seine Erfindung vollendet hat, gab es das "Gut"
gar nicht, ueber das hier geredet wird. Der Erfinder oder sein
Rechtsnachfolger (z.B. Arbeitgeber) hat dann die freie Entscheidung,
ob er dieses neu erschaffene Gut geheimhalten, in die "Intellectual
Commons" geben oder aber per Patent fuer sich monopolisieren will.
Dies ist eine andere Situation als wir sie im Marken- oder
Domainrecht kennen. Eine Marke oder eine Domain muss nicht "neu"
sein; man kann rein begrifflich gesehen bereits existierende
"Identifier" erspaehen und versuchen, darauf durch Anmelden einer
Marke oder durch Delegieren einer Domain ein Verfuegungsmonopol zu
erhalten, im ersteren Falle per Schutzrecht, im zweiten Fall per
vertraglich gesicherter tatsaechlicher Verfuegung ueber einen DNS-
Datensatz. Das ist der Grund dafuer, warum es "Markengrabbing" oder
"Domain-Grabbing" geben kann.
Und: Entgegen der Eurolinux-Desinformationskampagne ist die Erteilung
von Patenten auf computer-implementierte Erfindungen weder neu noch
rechtswidrig. Das geltende positive Recht im Zusammenhang mit
hinsichtlich der Umstaende seines Zustandekommens nicht zu
beanstandendem Richterrecht (contra "Rechtsbeugungsluege" seitens
FFII) hat seit langem diese Patente unter bestimmten Voraussetzungen
erlaubt. Viele SMEs in Europa haben diesen Umstand nur jahrelang
(durch ihre eigene Verschnarchtheit, Desinteresse oder was auch
immer) nicht mitbekommen, und nun wachen sie - geweckt durch das von
Eurolinux veranstaltete publizistische Getoese - auf und sind
erschrocken uebr ihre US-Wettbewerber, die das Instrument des
Patentrechtes im globalisierten Konkurrenzkampf schon seit langem
auch fuer computer-implementierte Erfindungen nutzen und daher
natuerlich eine gewissen Augenblicksvorteil verspueren.
Wenn die EU-Richtlinie in der von der Kommission gewollten Gestalt
kommt, wird nichts "rueckwirkend legalisiert". Es werden auch im
Hinblick auf die Zukunft keine "Daemme brechen". Im Gegenteil, die
politische Grundentscheidung der EU-Kommission war die, den
erreichten Stand des Richterrechtes hinsichtlich der Auslegung des
EPC fuer die gesamte EU verbindlich zu machen.
Ob der Kommissionsvorschlag nun in seiner konkreten tatsaechlichen
Formulierung geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen, wird ja seitens
der Erolinux-Lobby ueberheupt nicht ernsthaft diskutiert. Was dort im
Wahrheit erreicht werden soll, ist nicht die Vermeidung einer
"Landnahme", sondern die Aushoehlung und Zerstorung des Patentrechtes
schlechthin. Finales Ziel ist unausgesprochen die Stallman'sche
Utopie einer Welt, in der es unter keinen Umstaenden moeglich ist,
durch das Ablaufenlassen eines Programmcodes auf einem Prozessor
irgendein Patent zu verletzen. Dies soll nach dem Willen der
Eurolinux-Lobby dadurch erreicht werden, indem die
marteriellrechtlichen Vorraussetzungen der Patentierbarkeit so eng
gefasst werden, dass sie das Patentwesen in weiten Bereichen
strangulieren.
Verraeterisch ist in diesem Zusammenhang der zu beobachtende
graduelle Uebergang von der Forderung "KEINE SOFTWAREPATENTE!" hin zu
"NO e-PATENTS!" oder "KEINE LOGIKPATENTE!". Man hat intra muros
natuerlich begriffen, dass man bei der Verwirklichung der
Stallman'schen Utopie auch keine Patente auf in Hardware gegossene
Signalverarbeitungssysteme mehr zulassen darf. Damit bliebe noch ein
Rest an oeligem Maschinenbau und Chemie fuer das Patentwesen uebrig.
Und um die Aushoehlung des Chemie-Sektors im Patentwesen darf sich
dan Greenpeace kuemmern; dafuer fuehlt man sich bei Eurolinux eher
nicht zustaendig.
Es macht sich aber natuerlich ungeheuer gut auf der oeffentlichen
Buehne, wenn man auch KMUs auf der Unterstuetzerliste halten kann,
die moeglicheweise zum Teil ins Gruebeln kommen wuerden, wenn sie die
tatsaechliche politische Tragweite des Eurolinux-Ansatzes unmittelbar
erkennen koennten. Dies geschieht aber aber auch deswegen nicht, weil
phm's Nebelmaschine ungheuer erfolgreich den Eindruck zu vermitteln
sucht, die Eurolinux-Koalition wolle mit ihren zahlreichen ins Detail
gehenden patentrechtlichen Formulierungsvorschlaegen tatsaechlich
(nur) das Patentrecht verbessern. Und, wenn man sich zu offenkundig
mit Positionen der Globalisierungskritiker identifizieren wuerde,
waere es aus mit allen bisher recht vielversprechenden Versuchen, das
buergerlich-konservative Lager in der Frage des Patentrechtes zu
spalten.
Ein schlauer Fuchs ist er ja schon, der phm.
--AHH
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