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Re: Proleten und Beschwerden beim EU-Parlament



Hallo Liste,

Friday, September 5, 2003, 11:18:59 PM, Alvar Freude wrote:

> die vielen Leute die sich wegen irgendwelchen Sachen -- zu Recht
> oder Unrecht - -- in einem solchen Tonfall beschweren, dass sie
> keiner mehr ernst nehmen kann ...

Die findest du aber ueberall. Weit problematischer ist aber doch, dass
die meisten der Probleme, die wir hier diskutieren, fuer 95% der Netz-
nutzer (sogar der Buerger, auch wenn ich die gesellschaftspolitische
Ebene/Diskussion mit dieser Mail nicht bedienen mag) schlicht nicht
relevant sind oder von ihnen nicht als relevant erachtet werden [1].

Fuer die Allgemeinheit sind es Luxusprobleme einer elitaeren Netzge-
meinschaft/von Netzanarchos [7], die sich irgendwelche obskuren Son-
derrechte erhalten will (Obwohl das Internet doch bekanntlich "kein
rechtsfreier Raum" ist!). Auch Twisters Appelle, "doch bitte endlich
den Arsch hochzubekommen", erreichen bisher kaum mehr als die uebli-
chen Verdaechtigen [4].

Es in diesem Zusammenhang geradezu laecherlich von einer "Informa-
tionsgesellschaft" zu sprechen, die eigenveranwortlich agiert oder gar
neue Staatsformen tragen kann (oder will), bzw. auf einer solchen An-
nahmen irgendwelche Strategien aufzubauen.

"Mag sein, dass "mein" digitaler Alltag der Normalwelt voraus ist -
aber das ist eher das Problem der Normalwelt und nicht meins", sagte
Wau Holland einst. Wau mag damit fuer sein eigenes Leben recht gehabt
haben. Als Grundlage der Arbeit von Fitug, FFII, CCC, Stop1984 [4],
Odem, etc., ist eine solche Einstellungen aber wenig foerderlich. Ich
werfe auch gerne einen Euro in das Phrasenschwein, damit ich nun noch
vor einer "digitalen Kluft" warnen darf. Waere dumm, als Organisation
so ganz ohne Kontakt zur Zielgruppe/Realitaet, oder?

Wir haben es schlicht mit Konsumenten zu tun, die einfach nicht die
Zeit (oft auch nicht die "Medienkompetenz") haben, sich mit unseren
Problemen zu beschaeftigen. Warum auch [1]? Das ist nicht einmal ein
Vorwurf, sondern einfach nur die Realitaet [6]. Selbst Nachrichten
werden nur noch konsumiert [2], bzw. gleich als Unterhaltung aufbe-
reitet und schnell abgehakt. Uebrigens ein Grund, warum ich von
Volksentscheiden nicht sonderlich viel halte, aber das wuerde hier
zu weit fuehren [5].

Das Volk will schlicht nicht gerettet oder aufgeklaert werden, da
es einfach keine Gefahren sieht (Spam ist was anderes, der ist
schlicht ein Aergernis. Dialer sind auch eines, das evtl. auch mal
den Geldbeutel tangiert) und die Dinge ja irgendwie funktionieren.

Und diese Realitaet muessen wir leider Gottes auch als Grundlage
jedweder Arbeit akzeptieren. Irgendwelche gutgemeinten (Netz-)Fun-
diparolen bringen uns nicht weiter. Wer seinen "digitalen Alltag"
als Maßstab durchsetzen will, unterscheidet sich kaum noch von den
hier so oft kritisierten "elitaeren Sozen" und deren vermeintlicher
Bevormundung des Volkes mittels fuersorglich/restriktiver Medien-/
Jugendschutz-/Bildungspolitik. Selbstverstaendlich auch nur zum
Besten der anvertrauten Schaeflein. Auch wenn die Schaeflein (hier:
wir) das anders sehen.

Nahziel, so bitter das auch klingt, kann da erstmal nur sein, den
Menschen Netzfreiraueme zu erhalten - oder durch geeignete Technik
neu zu schaffen, die diese auch nutzen koennen und wollen. Das sind
die Multiplikatoren, von denen alle reden.

Der Rest - all die ganzen Trauemen vom freien Netz - erfordert lang-
fristige Arbeit, fuer die erst einmal _Bedarf_ geweckt werden muss.

Vielleicht ergibt es sich, vielleicht muessen wir uns auch von ihnen
verabschieden, keine Ahnung. Vielleicht ermoeglicht uns die Technik
irgendwann auch die gesellschaftlichen Entwicklungen und Mechanismen,
die Kai angerissen hat. Sonderlich optimistisch bin ich da zur Zeit
allerdings nicht. Es langt ja offenbar nicht einmal fuer ein Infor-
mationsfreiheitsgesetz.

Das ist in der Summe leider eine Erkenntnis, wo wir (ich schliesse
Alvar mal mit ein, er mag gerne widersprechen) uns gar nicht soweit
von Buessows Einschaetzung der Medienkompetenz in diesem Land unter-
scheiden [3].  Und hier sind wir dann schlussendlich auch bei der
entscheidenden Frage wie man gegensteuern kann, wie man das "niedere
Netzvolk" erreicht, bzw. "mobilisiert", bzw. ob und wann es sich mo-
bilisieren laesst.

Mit ganz viel Pech wird das nicht funktionieren, es dann aber wie
in den Niederlanden zu halten (Ich verstand es als Anspielung auf
den Mord an Pim Fortuyn), kann aber ganz sicher keine Loesung sein.

> z.B. dieser:
> http://odem.org/informationsfreiheit/forum-view_5542-5542.html

Nunja, das ist ja quasi schon ein Bestandskunde. Auch in anderen
Foren. Die gibt es ueberall. Leute, die ihn ihrer Ohnmacht kaum
noch mehr als ein "Fuck Bush|Schroeder|Buessow! rausbringen lei-
der auch. "Stimmvieh" mag nun arrogant klingen, ist aber wohl
treffend.

MfG
 Olaf

[1] Nazifilter? Prima, die behindern niemanden beim Mail schreiben,
Webchatten oder Surfen. Weniger Schund & Schmutz? Sicher, weg damit.
Schon im Interesse der eigenen Kinder.

[2] "Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhalt-
same Themen praesentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema
als Unterhaltung praesentiert."  --  Neil Postman, irgendwann vor
20 Jahren.

[3] "Regierungspräsident Büssow hält weder von den Usern noch von
deren Medienkompetenz sehr viel. 80 Millionen Deutsche über Medien-
kompetenz zu erreichen, hält er für eine Illusion: "Ich war in
Erwachsenenbildung tätig. Ich weiß, wie wenig das wahrgenommen
wird." (http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/39602/)

[4] http://www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=4105476&forum_id=46756

[5] Was glaubt ihr, wie waere das Ergebnis, wenn Buessow und Beck ihre
Filter durch eine Volksabstimmung legitimieren wollen? Die Filter
gegen Nazis, Schund, Schmutz und natuerlich diese perversen
Kinderschaender?

[6] Im Grunde muss man fuer jede Unterschrift dankbar sein. Mehr
kann man oft einfach nicht verlangen. Frage ist dann allerdings
auch, ob man seine (tatsaechliche) Zielgruppe nicht etwas realis-
tischer definieren sollte.

[7] Eris und Diskordia als politische Leitbilder zu etablieren
duerfte schwierig werden ..


-- 
"It's those TV networks Marge.  They won't let me. One quality show 
after another, each one more brilliant than the last.  If they only 
stumbled once -- just gave us thirty minutes to ourselves. But they 
won't, they won't let me live!"  -- Homer Simpson




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