<<< Date Index >>>     <<< Thread Index >>>

Re: FITUG: Meinungsfreiheit braucht Linkfreiheit



Am Monday 18 October 2004 21:14 verlautbarte Florian Weimer :
>
> Nein, sauber darüber reden. Ich kann über eine Gerichtsverhandlung
> auch berichten, wenn ich die Zeugen und den Angeklagten nicht beim
> vollen Namen nenne. Bei den beiden Webseiten ist es für die
> Diskussion um die Sperrverfügung auch völlig ausreichend, auf
> entsprechende aufklärende Seiten zu verlinken -- eben weil es
> überhaupt nicht um die gesperrten Inhalte geht, sondern ums Filtern
> an sich.

In der DDR durfte man nicht sagen "Honecker ist doof". Es wurde in Witze 
verpackt. Unter einer freiheitlich demokratischen Grundordnung stelle 
ich mir jedenfalls etwas anderes vor als einen Maulkorb. 
Meinungsfreiheit ist condicio sine qua non, also eine absolut 
notwendige Bedingung fuer Demokratie.
>
> Aber klar, wenn wir mal vom vorliegenden Beispiel abstrahieren, sieht
> das vielleicht anders aus.

Eben.
>
> > Diejenigen unter Euch, die Links pauschal als potentiell strafbares
> > Verbreiten und Zugänglichmachen ansehen, müssen auch sagen dass ...
> >
> >   - eine Antwort auf die Frage "Was soll denn konkret gesperrt
> > werden" strafbar ist wäre
>
> Nicht zwangsläufig, siehe oben.

Oh doch, denn Du musst einen anderen Terminus fuer rotten.com 
einfuehren. Wie wuerdest Du das denn nennen? 
>
> >   - sich die Verantwortlichen des FITUG e.V. strafbar machen
>
> Mein Mitleid mit FITUG ist in diesem Punkt ziemlich begrenzt, was aus
> deren Einstellung zur Integrität des Archives und den damit
> verbundenen Konsequenzen resultiert.

Wir koennten ja auch wild in den Archiven herumeditieren und Deine 
Meiungen ganz anders darstellen? Dein eeprom muss nachjustiert werden, 
denn Deine ganze Konstruktion ist nicht stringent.

Die Franzosen hatten eine tolle Loesung: Nur wenn ein Gericht 
entschieden hatte, mussten die Dinge heruntergenommen werden. Damit 
obliegt es nicht mehr der Laiensphaere, was noch machbar ist und was 
nicht.
>
> >   - diejenigen, die die URLs in Newsgroups, Mailinglisten, Chats
> >     und Foren nennen, sich strafbar machen würden
>
> Chats als Form der Veröffentlichung? 

Wenn es kein geschlossener Personenkreis ist, dann ist es oeffentlich.
Es sollten aber doch mehr als 3 Personen sein.

[...]
>
> Bei zivilrechtlichen Sachen bist Du als Linksetzender heute schon
> regelmäßig der Dumme, da es auf ein Verschulden meist überhaupt nicht
> ankommt. Beim Strafrecht wird immerhin die Schuld berücksichtigt.

Das ist so nicht ganz richtig, aber ich habe schon vor Jahren gesagt, 
dass das "zueigen machen" a la Spindler und Hoeren fuers Web eine 
Katastrophe ist.
>
> > Hier würde jegliche Diskussion über entsprechende Inhalte zensiert.
>
> Ich halte das ein wenig für übertrieben. Schrieb Rigo nicht mal vor
> einiger Zeit, daß selbst das Bundesverfassungsgericht nicht in seine
> Urteil hineinschreiben könne, was es eigentlich meine, und man die
> Urteile deswegen zwischen den Zeilen lesen müsse. (Wolfgang Leonhard
> erläuterte mal in einem Vortrag diese Lesetechnik, allerdings mit
> Blick auf die Prawda.)

Ich bin hier der falsche Zeuge. Das BVerfG _kann_ sehr wohl 
reinschreiben, was es fuer richtig haelt. Die Richter sind jedoch 
zurueckhaltend. Deswegen muss man manchmal zwischen den Zeilen lesen. 
Bei der von mir zitierten Entscheidung sind sie uebrigens sehr deutlich 
geworden.

>
> Kurzum: Mit ein bißchen Verrenkung müssen wir immer leben müssen, und
> ein Teil ist schlicht aus, wie soll ich sagen, metaphysischen Gründen
> unvermeidbar.

Mit dem Argument kannst Du die DDR ohne Not als Demokratie bezeichnen.

> > "Hallo, was hälst Du von [Lauck-URL]"?
>
> Privat ist das völlig in Ordnung. In der Öffentlichkeit ist das etwas
> völlig anderes. Nun ist es zugegebenermaßen etwas schwierig, sich
> z.B. via Blog nicht öffentlich zu äußern.

Woher willst Du es denn noch wissen, wenn das Feindradio verboten ist? 
Bei den Nazis konnte man auch noch privat ueber die BBC reden, 
obwohl... Uebrigens unterscheidet das Strafrecht nicht zwischen 
oeffentlich und privat. Wenn ein link ein Zugaenglichmachen oder 
Verbreiten ist, dann ist es das auch auf einer privaten Site mit 
Zugangskontrolle.

>
> > Sollen wir uns jedes mal in einer Diskussion Gedanken machen
> > müssen, ob die Nennung einer URL nötig sein ist?
>
> Als Richtschnur könnte ich mir so etwas schon vorstellen -- unter der
> Prämisse, daß man wirklich davon ausgehen muß, daß die Inhalte zum
> einen gefährlich sind, zum anderen auch tatsächlich von
> Schutzbedürftigen eingesehen werden.

Wer soll das denn beurteilen, was gefaehrlich und tatsaechlich 
eingesehen wird? Nein und Nein. Das BVerfG sieht eine um Meilen weitere 
Freiheit, wenn es schreibt:

 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt die Meinungskundgabe 
unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet 
oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, 
wertvoll oder wertlos gehalten wird (vgl. BVerfGE 33, 1 <14 f.>; 61, 1 
<7>; stRspr). Auch die polemische oder verletzende Formulierung der 
Aussage entzieht sie nicht seinem Schutzbereich (vgl. BVerfGE 54, 129 
<138 f.>; 93, 266 <289>; stRspr).
>
> Ich habe allerdings auch ein bißchen Probleme damit, daß man mit dem
> richtigen Parteibuch in den Medien ganz gemütlich gegen Türken hetzen
> kann, solange es bloß echte Türken sind und nicht die, die man immer
> gequält als "Mitbürger" bezeichnet (was offenbar wie "Mitfahrer" zu
> verstehen ist). Den Extremismus von Stormfront & Co. halte ich für
> deutlich harmloser, da er wesentlich leichter als Extremismus zu
> erkennen ist.

Genau, Du merkst gerade, auf welches Glatteis Du Dich begibst. Ein Link 
zur CDU strafbar?

>
> > Ncohmal: Dies betrifft nicht nur Nazi-Kram, sondern auch anderes
> > beispielsweise aus dem zivilrechtlichen Bereich, siehe
> > FTP-Explorer.
>
> Diejenigen, die Inhalte gewerblich ins Netz stellen, machen das.
>
> Bricolage, ein Content-Management-System (das ursprünglich für
> Salon.com entwickelt wurde), hat deswegen z.B. eine Stufe "Legal
> Desk" im Veröffentlichungsprozeß. SPIEGEL ONLINE hat eine zeitlang
> *gar* *keine* Links veröffentlicht, die über das oberste Dutzend
> hinauswiesen.

Das bestaetigt doch meine Aussage, dass eine solche Auffassung 
hinsichtlich des Links ein anderes Web bedeutet (in DE) in dem es nur 
monolithische Sites gibt die per Radio beworben werden. Das ist aber 
nicht die Informationsgesellschaft von der die Politik die ganze Zeit 
faselt.

>
> Entsprechende Konstrukte wären zumindest für Blogs denkbar, bei
> öffentlich archivierten Mailinglisten geht das zur Not auch. (Wir
> hatten mal so eine Mailingliste, aber waren ganz dankbar, daß sie nie
> wirklich angenommen wurde, weil man sich dadurch erst so richtig aus
> dem Fenster lehnt, und das in diesem Fall nicht wirklich unser Job
> war.)

Tja, sich fuer Demokratie einsetzen war noch nie ein Sessel-Job.
>
> > Wenn ich wegen so einem Dreck vor Gericht stehe, geht es mir
> > mitnichten darum nur den Hals aus der Schlinge zu ziehen. Wir haben
> > hier auch die Gelegenheit, endlich mal Klarheit bzgl. Links zu
> > schaffen.
>
> Höchstens im strafrechtlichen Bereich. Im Wettbewerbsrecht kommt es
> meist nicht auf das Verschulden an, und dort ist die Situation
> bereits geklärt worden, wenn auch in einer höchst unbefriedigenden
> Weise.

Da musst Du aber eine Firma sein und das zu Deinem Broetchenerwerb tun. 
Hier geht es uns alle an.


Gruss

Rigo

Attachment: pgpDoD3AS8kh8.pgp
Description: PGP signature