Re: [Debate] Aktion fuer Aeusserungsfreiheit in Deutschland
Hallo Thomas, danke für das Interesse und die fachmännischen Fragen.
> > 1. Die Äußerungsjustiz darf kein internetfreier Raum mehr sein:
> > Verfahren müssen im vollen Licht der Öffentlichkeit geführt werden;
>
> Was soll das konkret heissen? Zivilverfahren sind in aller Regel
> oeffentlich.
Der Schriftverkehr der Gerichte ist nicht öffentlich zugänglich.
Die "Pseudo-Öffentlichkeit", als die sich der Autor von
http://www.buskeismus.de/
bei seinen Berichten bezeichnet, hat ziemlich schwer, von den Terminen,
Urteilen und Verhandlungskontext zu erfahren. Tonaufzeichnungen sind nicht
gestattet, und man kann mangels Beweismitteln leicht wegen Fehlern bei der
Berichterstattung verklagt und verknackt werden.
Abmahnschreiben von Anwälten unterliegen dem Urheber- und
Persönlichkeitsrecht. Wer sie im Netz veröffentlicht, muss dafür mit weiteren
Abmahnungen und Strafen rechnen. Rechtsfortbildende Anwälte fühlen sich von
Buskeismus.de ungebührlich in ihrer Privatsphäre berührt und haben im Falle
von Klagen Aussichten auf Erfolg, vielleicht nicht zuletzt da die Richter
Ähnlich denken.
M.a.w. Die Justiz ist weitgehend unbeobachtet, und Justizbeobachtung ist
riskant.
Nicht einmal der Beklagte erhält ohne weiteren Antrag Zugang zu den (oft
zweifelhaften) eidesstattlichen Erklärungen, mit denen eine einstweilige
Verfügung erwirkt wurde. Ganz zu schweigen von den Privatdialogen zwischen
Klägeranwalt und Richter, durch die der Kläger einseitig Hinweise über die
Meinung des Gerichts bekam.
> > 2. Schluss mit dem fliegenden Gerichtsstand: Informationsdelikte
> > müssen im Internet oder am Wohnsitz des Beklagten verhandelt werden;
>
> Dazu muesste der Gesetzgeber einen ausschliesslichen Gerichtsstand am
> Sitz des Informationsanbieters normieren. Das wuerde vermutlich dazu
> fuehren, dass anschliessend niemand mehr einen inlaendischen Sitz hat.
> ,-)
In letzterem Fall könnte ja dann eine andere Regel greifen, wie z.B.
- Wahl durch Kläger
- Zuweisung durch zentrale Vergabestelle
- Wahl eines für überregionale Fälle zuständigen Gerichts
> > 3. Die Beweislasten und Verfahren sind so zu ändern, dass der
> > Normalbürger zumindest so lange ohne Kostenrisiken Web-Angebote
> > entwickeln kann, wie er nicht nachweislich in boshafter Weise
> > gravierende Schäden verursacht;
>
> Das ist viel zu schwammig. Was ist ein Normalbueger, was ist boshaft,
> was sind gravierende Schaeden? Das erzeugt nur neue Auslegungsprobleme,
> die u.U. zu noch groesserer Rechtsunsicherheit fuehren.
Das soll ja kein Regelungsvorschlag sein sondern nur eine Zielvorgabe, die
durch konkretere Regelungsvorschläge zu erreichen wäre.
Welche das sein könnten, wird auf
http://www.aeusserungsfreiheit.de/tab
unverbindlich angedeutet.
"Boshaftigkeit" (malicious intent) muss m.W. im amerikanischen
Verleumdungsrecht nachgewiesen werden, wenn man etwas erreichen will. Aber
das habe ich nicht genau untersucht und auch nicht in die Tabelle der
Gegenvorschläge aufgenommen.
> > 4. Sogenannte "Mitstörer" dürfen nur durch prazise gerichtliche
> > Anweisungen in Anspruch genommen werden;
>
> Wie sollen die konkret aussehen und wodurch unterscheiden sie sich von
> aktuellen richterlichen Ausspruechen?
Selbst nach neuestem BGH-Urteil
BGH bestätigt Forenbetreiber-Haftung für fremde Beiträge ab Kenntnis
http://www.heise.de/newsticker/meldung/87462
ist der Betreiber haftbar, sobald irgendjemand ihm gegenüber irgendwie
behauptet, irgendwelche Beiträge seien problematisch. Eine präzise
gerichtliche Anweisung ist nicht nötig. Vielmehr muss der "Mistörer" selbst
die Rechtslage prüfen und komplizierte Abwägungen anstellen und unzugängliche
Tatsachen auf Wahrheit prüfen. Wenn er Forderungen des Abmahners nicht
nachkommt, riskiert er weitere kostentreibende Rechtsmittel.
> die Aweisungen sind
> > öffentlich in einer standardisierten Notation zu präsentieren, so
> > dass sie kostenfrei automatisch umgesetzt werden können.
>
> Wieso oeffentlich?
Rekapitulation des ersten Anliegens.
Wenn schon zensiert wird, dann sollte dieses Vorgehen unter dem wachsamen Auge
der Öffentlichkeit stattfinden.
Im Idealfall sollte eine Art Diff-Datei auf einem zentralen Server präsentiert
werden, die z.B. von Blog-Software abgearbeitet werden kann, ohne dass der
Forenbetreiber davon Kenntnis nehmen muss. Da würden dann bestimmte Bereiche
im Forum geschwärzt, d.h. mit XXXXX überschrieben, und es gäbe einen Verweis
auf den Zensur-Server, auf dem das Verfahren samt Gründen dokumentiert wäre.
Ein wenig in diese Richtung geht die Kooperation von Google mit
chilling-effects.org, aber diese Arbeit sollten m.E. die Gerichte selber
leisten.
Das hätte auch die Wirkung einer Gegendarstellung für den Verleumdeten, sollte
also eigentlich in dessen Interesse sein, sofern sein Zensurwunsch einigermaßen
legitim war.
--
Hartmut Pilch http://a2e.de/i2p
Vorsitzender FFII.de http://www.ffii.de
Patentierbarkeit und Demokratie in Europa http://eupat.ffii.org
Äußerungsfreiheit vs Persönlichkeitsrecht
http://www.aeusserungsfreiheit.de
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