Re: BGH-Entscheidung: T-Online darf Verbindungsdaten nicht mehr speichern
On Sun, Jan 07, 2007 at 10:40:20AM +0100, PILCH Hartmut wrote:
Hi Hartmut!
> > Vertragstheorien sind Rechtfertigungsversuche der Rechtsordnung
> > in einem Nationalstaat. Das hat mit ihrer historischen Entwicklung
> > zu tun, und wird anscheinend in den Vertragstheorien selber überhaupt
> > nicht hinterfragt. Eine moderne Vertragstheorie wie Rawls "Theorie der
> > Gerechtigkeit" würde, angwendet auf die Gemeinschaft aller Menschen,
> > tatsächlich so etwas wie die Begründung für überstaatliche
> > Menschenrechte liefern.
>
> Lässt sich daraus z.B. auch die Forderung ableiten, dass man nur der UNO und
> nicht etwa der Gemeinde, dem Land oder dem Bund Steuern zahlt?
>
> Ich glaube auch zu einer abgestuften internationalen Ordnung gehört dazu,
> dass die jeweils Ortsansässigen bei Migration gefragt werden müssen.
>
> Das wird in dem Maße wichtig, wie jede Region souverän ist.
Du lenkst vom Thema ab. Die Frage nach der Gültigkeit universeller
Menschenrechte ist vollkommen unabhängig von der Organisation
irgendwelcher administrativer Strukturen oder davon, wer diese
Menschenrechte nun tatsächlich durchzusetzen hat.
> > "Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung
> > tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und
> > zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine
> > Aggressionen gerechtfertigt werden sollen." -- Albert Memmi
>
> Eine sehr weite und dem üblichen Sprachgebrauch widersprechende Definition.
>
> Wunderbar, um sich die stigmatisierende Wirkung des Wortes auch dann
> zunutze zu machen, wenn seine engere Bedeutung, auf der diese Wirkung
> beruht, nicht anwendbar ist.
Der Begriff wurde im Laufe der Zeit verallgemeinert, weil das Element
der (meist fiktiven) biologischen Unterschiede zwischen den Menschen,
das der klassische Rassismus beinhaltet, in den psychologischen und
soziologischen Theorien von Rassismus keine wesentliche Bedeutung hat.
Er wird im heutigen Rassismus - nach der wissenschaftlichen Widerlegung
der Rassentheorien - meist nahtlos durch z.B. kulturalistische Begründungen
ersetzt.
> > Tatsächlich mache ich der Mehrheit durchaus das Recht streitig, andere
> > Menschen abzuschieben.
>
> Und dazu brauchst du das Stigma "Rassismus".
>
> Die Versuchung ist groß, empörende historische Erfahrungen wie etwa die des
> Genozids zu nutzen, um sich selber auf der Seite des Guten zu positionieren
> und ohne Argumente in Debatten zu siegen.
Auch die Versuchung der eigentlichen Frage durch Meta-Diskussionen
aus dem Wege zu gehen, scheint für manche Menschen zu groß.
> > Davon abgesehen bin ich mir nicht sicher, was die meisten Mitglieder der
> > Mehrheit tatsächlich entscheiden würden, wären sie über die Umstände und
> > Folgen ausreichend informiert, und müßten persönlich Verantwortung dafür
> > übernehmen.
>
> Wie soll "persönliche Verantwortung" aussehen?
>
> Persönlich einem abgelehnten Asylbewerber gegenübertreten und die
> Abschiebung gegen dessen Willen durchführen?
>
> Wohl eine unangemessene Forderung.
Verantwortung kann man auch für fremdes Handeln übernehmen.
> > Was die Stigmatisierungen betrifft, glaube ich nicht, daß wir der in die
> > andere Richtung zielende Propaganda z.B. der Bild-Zeitung viel
> > entgegenzusetzen haben.
>
> Die Bild-Zeitung hatte zu Axel Springers Zeiten vielleicht teilweise ein
> politisches Programm. Heute zielt sie m.E. einfach nur noch auf Auflage. Man
> kann damit rechnen, dass alles, was emotionale Zustimmung der Leserschaft
> hervorruft, dort geschrieben wird. So bestimmt auch Druck auf die
> Tränendrüsen wegen unakzeptabler Härten beim Abschiebeverfahren. Werbung
> gegen Ausländerfeindlichkeit, für mehr grüne Karten etc sowieso.
Ich lebe anscheinend in einer Parallelwelt zu Deiner. Mir scheint
z.B. Asylmißbrauch in der Bild-Zeitung ein viel größeres Thema zu sein
als unakzeptable Härten beim Abschiebeverfahren.
> > Inwiefern hat jemand aus Sri Lanka einen anderen Vertrag abgeschlossen
> > als Du?
>
> Jemand aus Sri Lanka ist Teil der dortigen Gemeinschaft und für die
> Erträglichkeit der dortigen Lebensverhältnisse ebenso mitverantwortlich, wie
> wir es für die der unseren sind.
Verantwortung setzt realistische Einflußmöglichkeiten voraus.
> Wenn er die Gemeinschaft wechseln will,
> hat die neue ein Mitspracherecht. So ist es international geregelt und
> akzeptiert.
Es ging in dieser Diskussion nicht darum, wie es tatsächlich geregelt
ist, sondern darum, ob diese Regelung durch Vertragstheorien zu
rechtfertigen wäre. Das ist sie nicht.
> > > > Woher leitest Du denn Dein eigenes Bleiberecht ab?
> > >
> > > Aus dem Konsens der Bürger unseres Landes.
> >
> > Das setzt schon voraus, daß der Konsens der Bürger unseres Landes,
> > irgendwelche größere Legitimität hat, als der Konsens irgendeiner
> > anderen beliebigen Menge von Leuten. Im "Urzustand", auf denen sich
> > die Vertragstheorien ja berufen, ist das kaum plausibel.
>
> Die Menschheit ist nunmal an gewissen Grenzen entlang in Kollektive
> aufgeteilt.
Aber nicht im "Urzustand" der Vertragstheorien.
> Und wir wissen auch aus Erfahrung, dass es der Qualität der
> Entscheidungen dient, wenn ein Gemeinwesen klein und übersichtlich ist.
> Ich habe etwa den Umgang von Politikern mit ihren Wählern in Österreich
> als recht positiv im Vergleich zu Deutschland empfunden, und das Leiden
> der Menschen in Staaten wie China und Russland wird oft auf deren
> Größe zurückgeführt. Ein Weltstaat wäre aus ähnlichem Grunde wahrscheinlich
> nicht wünschenswert. Man würde zumindest versuchen, ihn in relativ autonome
> Bundesstaaten aufzuteilen, zu deren Autonomie zwangsläufig ein Mitspracherecht
> bei Migration gehören würde.
Um organisatorische Fragen geht es hier nicht.
> > > > Die Einteilung von Menschen in Leute, die hier sein dürfen, und
> > > > Leute die das nicht dürfen, findet an Hand von eher willkürlichen
> > > > Kriterien statt, um den hierzulande angehäuften Wohlstandskuchen
> > > > nicht mit zu vielen anderen Menschen teilen zu müssen.
> > >
> > > Was nicht unbedingt ein anrüchiges Motiv ist.
> >
> > Es ist exakt das selbe Motiv (Egoismus) und die selbe Methode
> > (Diskriminierung eines Teils der Menschen) wie zum Beispiel
> > in Südafrika während der Apartheid. Der Unterschied kann also
> > nur in der Legitimation liegen. Wo?
>
> Es wird nicht nach rassischen Kriterien diskriminiert, sondern einfach
> zwischen Bürgern und Nichtbürgern unterschieden.
Das Staatsbürgerschaftsrecht, das die Unterscheidung zwischen Bürgern
und Nichtbürgern regelt, stellte doch bis vor kurzem ausschließlich
auf ein biologisches Kriterium ab: die Abstammung.
Aber das moralische Problem am Rassismus ist auch nicht eine
eventueller Bezug auf biologische Unterschiede, sondern die
unmoralischen Handlungen, die damit gerechtfertigt werden.
Z.B. die gewaltsame Verschleppung von Menschen in andere Länder.
> > Deine Definition von Allgemeinheit ist die eines nationalen
> > Kollektivs. Das kannst Du halten wie Du willst. Aber ich lege
> > für mich schon Wert darauf, daß ich - wenn überhaupt - meinen
> > hypothetischen Vertrag implizit mit allen Menschen abgeschlossen
> > habe.
>
> Was, wie oben ausgeführt, sich nicht widerspricht. Das universale Kollektiv
> ist eben ein regional abgestuftes.
Die regionale Abstufung ist nicht das Problem, sondern
die Ausschließung von Menschen aus Regionen.
Gruß,
Martin
--
One night, when little Giana from Milano was fast asleep,
she had a strange dream.
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