PM: 1.000 Protestbriefe gegen Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten
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Pressemitteilung vom Montag, den 15.01.2007:
1.000 Protestbriefe gegen Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten
+++ Breiter Protest gegen geplante Protokollierung von Telefon, Handy, E-
Mail und Internet +++ Über 1.000 besorgte Bürger schreiben den 448 CDU-,
CSU- und SPD-Bundestagsabgeordneten +++ Verhaltene Reaktionen der
Parlamentarier +++
Einen wachsenden Widerstand gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung
(verdachtsunabhängige Speicherung von Telekommunikationsdaten zur
verbesserten Strafverfolgung) vermeldet der Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung, in dem sich unter anderem Journalisten,
Rechtswissenschaftler, Politologen und Informatiker zusammengeschlossen
haben. Der Arbeitskreis zieht damit eine positive Zwischenbilanz seiner
Aktion "Offene Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung". Auf einem
speziellen Internetportal (http://briefe.gegen.daten.speicherung.eu) können
besorgte Bürger seit September 2006 offene Protestbriefe gegen die von
Union und SPD geplante sechsmonatige Speicherung weiter Teile des
Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhaltens der Bevölkerung
schreiben. Die Briefe werden allen 448 Abgeordneten von Union und SPD per
E-Mail zugeleitet. Die über 1.000 individuell formulierten Briefe besorgter
Bürger zeigten, dass von Politikverdrossenheit keine Rede sein könne,
erklärte der Arbeitskreis am Montag.
"Wie Sie bereits selber feststellen mussten, stellen Sie damit eine immens
große Gruppe unter einen sog. 'Generalverdacht'", kommentiert etwa ein
Bürger aus Nordrhein-Westfalen die geplante Datenspeicherung. "Im Internet
habe ich gelesen, dass das Bundeskriminalamt keine 400 Fälle hatte, die
aufgrund einer fehlenden Vorratsdatenspeicherung hätten aufgeklärt werden
können. Warum stellen wir nicht gleich alle Handwerker unter
Generalverdacht, weil vor kurzem herausgefunden wurde, dass 10 der
1.000.000 Handwerker in Deutschland Waschmaschinen nicht ordnungsgemäß
reparieren können?" Neben vielen Briefen über die Unverhältnismäßigkeit der
Vorratsdatenspeicherung, über ihren marginalen Nutzen und die Möglichkeiten
ihrer Umgehung werden oft auch gesellschaftspolitische Aspekte wie der
starke Vertrauensverlust der Menschen in die Politik thematisiert. Ein 17-
jähriger Abiturient schreibt etwa: "Ich mach mein Abitur, schließe ein
Studium ab und versuche mein Glück im Ausland. Denn ein Land und eine
Regierung, die das Volk nicht achten sind für mich kein Ort, wo ich leben
will." Ein Student bekräftigt: "Ich empfinde es als beschämend, dass ein
Land, welches von sich selbst behauptet, zur sogenannten freien westlichen
Welt zu gehören, jedes Jahr aufs weitere seinen eigenen Rechtsstaat
untergräbt und immer mehr zu Mitteln greift die bis vor kurzem noch der
Stasi vorgehalten wurden".
Ein angehender Pfarrer macht sich Sorgen um das Beichtgeheimnis: "Wie soll
ich später - ich bin angehender Pfarrer - das Seelsorgegeheimnis zusagen
können, wenn dies durch eine Überwachung - um nichts anderes handelt es
sich hier - faktisch aufgehoben wird? Ich hoffe, dass Sie es zu schätzen
wissen, wenn man sich drauf verlassen kann, dass das Gesagte beim anderen
vertraulich und gut aufgehoben ist. Die Telefonseelsorge wird damit in
ihrer Glaubwürdigkeit beraubt, die immer wichtiger werdende Seelsorge über
E-Mail und Internet wird unmöglich." Teilweise wird ein zunehmendes
Misstrauen gegenüber der Politik deutlich: "Warum überprüft und
kontrolliert man nicht ausschließlich die Menschen, die Macht haben? Denn
gerade die können doch den Bürgern (für deren Schutz und Freiheit Sie
eigentlich zuständig sein sollten) mehr Schaden als alle anderen zufügen.
Aber die Ironie an der Sache ist ja gerade, dass es [...] gerade die Bürger
trifft, die gar nicht zu ernsten Sicherheitsrisken werden könnten, aber
aufgrund ihres Unwissens und fehlenden finanziellen Mitteln, dem Staat und
dessen Machtausübungen schutzlos ausgeliefert sind", lautet der Vorwurf
einer Bürgerin aus Bayern.
Nicht zuletzt greifen die Menschen ein Argument auf, das von Seiten der
Regierung und der Strafverfolgungsbehörden immer wieder als Argument für
die Vorratsdatenspeicherung angeführt wird: Den Schutz und die Zukunft
unserer Kinder. "Wie sollen wir Demokratie lernen, wie was Meinungsfreiheit
ist oder das Recht auf Selbstbestimmung? Wie sollen wir mündige Bürger und
Steuerzahler werden, wenn wir Angst haben müssen uns unsere eigene Meinung
zu bilden? Wie können wir später selbstbewusst und erfolgreich im Beruf
sein, wenn wir Angst haben müssen, dass alles gespeichert wird? Denken Sie
an unsere Zukunft und stimmen Sie gegen das Gesetz zur allgemeinen
Datenspeicherung", heißt es in einem Brief aus Niedersachsen. Ein Lehrer
zeigt sich ratlos, wie er den Kindern ein solches Gesetz erklären soll:
"Wie soll ich so etwas bitte meinen Schülern erklären? Eine
Kriminalisierung aller Menschen? Jeder ist verdächtig? Und deine Steuern
zahlst du später mal dafür, dass du von deinem Staat ausspioniert wirst
mein Kleiner? Und zwar auch noch völlig nutzlos! Was bitte soll ich auf die
Frage antworten, wieso der Staat das macht? Soll ich vielleicht sagen der
Staat hat Angst vor seinen eigenen Bürgern? Vielleicht können Sie mir da ja
helfen."
"Ich kann leider nicht mit fassenden Argumenten einen überzeugenden
Rundumschlag formulieren, oder gar einen persönlichen Souffleur ausstechen,
aber ich kann Ihnen sagen wie ich mich fühle: Ich habe Angst bekommen vor
der Salamischeibenstrategie der Bundesregierungen hin zum automatisierten
Überwachungsstaat", so ein weiterer offener Brief. Dass eine solche Angst
in einem freiheitlich demokratischen Rechtstaat überhaupt entsteht,
empfindet Twister (Bettina Winsemann) vom Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung als beklemmend. "Das Vertrauen zwischen Volk und
Regierung ist auf beiden Seiten quasi nicht existent. Die Regierung
misstraut dem Volk und will immer mehr kontrollieren, überwachen und
speichern. Das Volk misstraut den Regierenden, die längst den Kontakt zum
Volk eingestellt haben. Die neuen Überwachungstendenzen, die Missachtung
von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes und Projekte wie die
Vorratsdatenspeicherung sind für den Wiederaufbau verlorenen Vertrauens
alles andere als geeignet."
Die Reaktionen der Abgeordneten auf die Briefe sind verhalten. Die meisten
Abgeordneten antworten nicht oder mit Standardantworten, die von den
Fraktionen vorformuliert sind. Darin wird die geplante
Vorratsdatenspeicherung verteidigt, obwohl der Bundestag selbst wiederholt
gegen eine Vorratsdatenspeicherung gestimmt hatte und ein Gutachten des
wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags die Verfassungsmäßigkeit des
Vorhabens in Frage stellt. Einige Abgeordnete kritisieren indirekt die
vielen Eingaben der besorgten Bürger. "Die meisten Menschen, die in den
letzten Tagen Briefe wie den Ihren an einen Großteil der über 400 CDU/CDU-
und SPD-Abgeordneten verschickt haben, erwarten eine individuelle Antwort
von jedem einzelnen Abgeordneten", so etwa die CDU-Abgeordnete Kristina
Köhler. "Angesichts der Zahl der Zuschriften, die uns erreichen, angesichts
der Fülle anderer Aufgaben und angesichts der Komplexität vieler Themen,
die Bürger in ihren Zuschriften ansprechen, ist das eine unrealistische
Erwartung. Vor diesem Hintergrund empfehle ich jedem Bürger, [...] die
Abgeordneten des eigenen Wahlkreises anzuschreiben". Patrick Breyer vom
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kommentiert: "Alle Abgeordneten der
Koalition stimmen über die geplante Totalprotokollierung unserer
Telekommunikation ab. Bei ihrer Entscheidung vertreten sie das gesamte
deutsche Volk. Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu gerechtfertigt, wenn
sich die vielen betroffenen Menschen an sämtliche Volksvertreter wenden und
einen Stopp dieser Pläne fordern."
Hintergrund:
Dem Gesetzentwurf zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in
Deutschland zufolge soll ab Mitte 2007 zur verbesserten Strafverfolgung
über einen Zeitraum von sechs Monaten nachvollziehbar werden, wer mit wem
per Telefon, Handy oder Email in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-
Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers
festgehalten werden. Anonyme Emailkonten und Anonymisierungsdienste sollen
verboten werden.
Mit Hilfe der gespeicherten Daten können Bewegungsprofile erstellt,
geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen
identifiziert werden. Auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation,
auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden
sind möglich. Die Furcht vor einem Bekanntwerden ihrer Kontakte könnte
Informanten, Ratsuchende und Hilfsbedürftige in Zukunft davon abhalten,
sich an Journalisten, Anwälte oder Beratungsstellen zu wenden. Der
Informantenschutz, das Anwalts- und das Arztgeheimnis würden unterlaufen.
Gegenwärtig dürfen Telekommunikationsanbieter nur die zur Abrechnung
erforderlichen Verbindungsdaten speichern. Dazu gehören Standortdaten und
Email-Daten nicht. Auch sonstige Verbindungsdaten werden auf Wunsch
monatlich gelöscht. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen ("Flat-Rates")
kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden.
Weitere Informationen und diese Pressemitteilung im Internet:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de
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