[Debate] Aeusserungsfreiheit: Forenschmiererei versetzt Italien in Aufruhr
http://www.aeusserungsfreiheit.de/08/02/shaulus08
Italiens Polizei sperrt israelfeindliche Webpräsenzen
Versuchte Ächtung pro-israelischer Gelehrter versetzt Staat & Politik in
Aufruhr
[phm, München, 2008-02-09] Die Unterzeichner eines pro-israelischen
Appells werden Ziel einer anonymen Schmähung, und schon herrscht quasi
Ausnahmezustand. Der Innenminister zweifelt, ob überhaupt irgendwelche
Straftatbestände erfüllt sind, schickt aber sofort die “Postpolizei”
auf Jagd. Andere fordern Ausweitung zu einer Säuberungskamapgne gegen
“Antisemitismus im Internet”.
Wie die Tageszeitung Corriere della Sera [7]berichtet hat das
italienische Innenministerium einige Webseiten vom Netz genommen, auf
denen eine “schwarze Liste” pro-israelischer (nur teilweise jüdischer)
Professoren erschienen war.
Diesen Unterzeichnern werfen anonyme Forenteilnehmer, darunter ein
“König Shaulus II.”, vor, sie arbeiteten für einen fremden Staat gegen
die Interessen Italiens und stündeten mit einem Machtkartell in
Verbindung, das die italienische Politik dominiere und für deren
Malaise verantwortlich sei. Die Liste war seit November 2007 immer
wieder in allerlei Foren erschienen und meist sofort wieder gelöscht
worden.
Ein Professor aus Rom wird von Corriere mit der Äußerung zitiert, er
sei “stolz, auf der schwarzen Liste zu stehen”. Die stigmatisierende
Wirkung der Liste scheint nicht allzu groß zu sein.
Ich würde persönlich auch gerne auf einer Liste von Personen stehen,
die für das Existenzrecht eines Landes eintreten und bereit sind, dafür
notfalls auch die Beeinträchtigung gewisser nationaler Interessen (etwa
die an der guten Zusammenarbeit mit ölreichen Ländern, die Israel von
der Landkarte getilgt sehen möchten) hinzunehmen. Wie [8]Magdi Allam
immer wieder eindrucksvoll argumentiert, geht es hier um die Behauptung
der Ehrfurcht vor dem Leben gegen diverse [9]nekrophile Ideologen, die
sich Israel als Feindbild vorgenommen haben. Voraussetzung für meine
Teilnahme wäre aber, dass die ehrenwerten Personen, zu denen ich mich
gerne gesellen würde, nicht gleichzeitig zur Zensur ihrer Kritiker
aufrufen. Wer wirklich offensiv eine gute Sache vertritt, für den
bietet Kritik nämlich nur eine willkommene Gelegenheit, noch mehr
Menschen zu erreichen. Und je unrühmlicher sich die Kritiker verhalten,
desto mehr Sympathien kann der Kritisierte auf seine Seite ziehen.
Vorausgesetzt eben, dass er mit den Mitteln der freien Rede und somit
eben nicht mit denen eines Machtkartells arbeitet.
Diesmal hat mich die Zensur daran gehindert, mich aus Originalquellen
über die Liste der Geehrten zu informieren. Aber ich habe Glück gehabt:
bei der “schwarzen Liste” handelt es sich laut Corriere nur um die
altbekannte Liste der 162 Unterzeichner eines pro-israelischen Appells,
der im Mai 2005 als kostenpflichtiges Werbeinserat in Corriere della
Sera veröffentlicht wurde. Es sind also alles Personen, die mit ihrer
pro-israelischen Haltung ohnehin schon längst an die Öffentlichkeit
getreten sind. Und der Veröffentlicher der “schwarzen Liste” drückt
letztlich nur seine entgegengesetzte moralische Wertung aus: was die
Unterzeichner für ein Dokument der Ehre halten, hält der anonyme
“König” für ein Dokument der Schande.
Warum ist ein derartiges schnell hingeschmiertes Schreiben also eine so
groß angelegte Empörungskampagne wert?
Eine der angeprangerten Unterzeichnerinnen, Prof. Anna Foa, Dozentin
der Sapienza (führenden Universität Italiens in Rom) liefert halbwegs
plausible Hinweise. Sie spricht von einer “Proskriptionsliste”, d.h.
einem Versuch, in Anlehnung an die altrömischen Machthaber Marius und
Sulla, bestimmte Personenkreise für vogelfrei zu erklären und somit
einer summarischen Lynchjustiz zu überantworten. In Italien hat es in
den 70er Jahren immerhin mal Versuche gegeben, rechten Terrorismus zu
organisieren (“[10]Ordine Nuovo”).
Als Unterzeichner der “Proskriptionsliste” treten Pseudonyme wie “König
Shaulus II.” auf, die schon einmal im Zusammenhang mit derben Drohungen
(etwa gegenüber [11]Marco Cappato: “Wir werden Euch abschlachten wie
Schweine” / vi sgozzeremo come maiali) erschienen sind. Allerdings
wurde diesmal nicht gedroht, und die mutmaßlichen Proskriptoren
verfügen derzeit weder über irgendwelche Macht noch über eine
glaubwürdige Geschichte wahr gemachter Drohungen. Das könnte sich
natürlich ändern, wenn die islamischen Hassprediger, vor denen Magdi
Allam regelmäßig warnt, in Italien weiter an Boden gewinnen. Derzeitige
Versuche islamistischer Kreise, israelische Autoren von der Turiner
Buchmesse fernzuhalten, tragen dazu bei, dass in Italien diesbezüglich
die Nerven blank liegen.
Prof. Anna Foa wünscht den Möchtegern-Proskriptoren “schnelle
Bloßstellung und Bestrafung oder, wenn es sich um Jugendliche handelt,
Umerziehung”. Ferner fordert Foa, bei dieser Gelegenheit das gesamte
Internet von antisemitischen Inhalten zu säubern und all diejenigen zur
Verantwortung zu ziehen, die mittelbar zur Verbreitung solcher Inhalte
beitragen.
Staatspräsident Napolitano drückt seine Entrüstung darüber aus, dass
“so etwas heute in Italien möglich” ist (“È indegno che si possa fare
una cosa del genere”). Innenminister Amato und Politiker aller Lager
von ganz links bis ganz rechts stimmen in das große Unisono der
Anständigen ein und fordern polizeiliche Maßnahmen, einschließlich
Abschaltung (oscuramento) von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung
der Verantwortlichen.
Nicht ganz klar ist, mit welchen Tatbeständen die strafrechtliche
Verfolgung begründet werden soll. Auch wenn Berlusconi und andere sich
zu Recht “an die horrenden Zeiten des Antisemitismus erinnert” fühlen,
liegt keine wirkliche Proskription vor, und nicht einmal ein Aufruf zu
Gewalttätigkeit ist in den Forenschmierereien ohne weiteres zu
erkennen. Per Gesetz ([12]Legge Mancino) sind Rassenhass und
Rassendünkel samt den zugehörigen Symbolen (Swastika etc) zu verbieten,
aber auch dergleichen lässt sich in den Texten nicht finden.
Vorsichtshalber hat Innenminister Amato daher angeordnet, zu prüfen, in
wie weit man den “Tätern” mit den “Tatbeständen der Verleumdung und
üblen Nachrede” (i reati di diffamazione e calunnia) beikommen kann.
Dass man unbedingt irgendwelche Tatbestände finden oder notfalls auch
schaffen muss, ist für Amato klar:
“Ich wünsche mir schnelle und gründliche Ermittlungen, denn dass was
ich gelesen habe verletzt die Prinzipien unserer Zivilisation und
unseres Rechts”. (Mi auguro che l’indagine sia approfondita e
rapida. Quello che ho letto viola i principi della nostra civiltà e
del nostro diritto)
Man kann sich allerdings auch fragen, ob eine von Erinnerungen an
unselige Zeiten (und vielleicht auch von Furcht vor dem neuen Medium
Internet) motivierte Zensurkampagne nicht vielleicht auch gewisse
Prinzipien unserer Zivilisation über Bord zu werfen geeignet ist. Wie
z.B. die Unterscheidung zwischen moralischer und rechtlicher
Verurteilung, die in jenem Voltaire zugeschriebenen Dictum
“Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie
sie äußern dürfen.”
ihren Ausdruck findet, oder das Prinzip, dass es ohne Gesetz kein
Verbot und keine strafrechtlichen Ermittlungen geben darf.
Weitere Einzelheiten
* [13]ANSA: Procura apre fascicolo – Laut dieser Agenturmeldung weiß
die Staatsanwaltschaft noch nicht so recht, worauf sie ihre von
zahlreichen Organisationen eingeforderte strafrechtliche
Untersuchung stützen soll. Zunächst steht Verletzung der
Privatsphäre im Vordergrund, was wohl angesichts der Tatsache, dass
die 162 Personen schon an die Öffentlichkeit gegangen waren, schwer
fallen könnte. Daher werden unschlüssig alle möglichen weiteren –
meist entweder unzutreffenden oder extrem dehnbaren –
Straftatbestände aufgelistet.
* [14]Il Cannocchiale – hier erschien die “Proskriptionsliste” in
einem Blog auf einer Subdomäne, die daraufhin als ganze entfernt
wurde und deren Name nie genannt wird.
* [15]Excite 2.0: Blog antisemita .. – hier wird die
Appell-Unterzeichnerin Prof. Anna Foa mit einem Aufruf zitiert, das
Web 2.0 generell von antisemitischen Äußerungen zu säubern und auch
diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die indirekt zur
Verbreitung antisemitischer Äußerungen beitragen:
“Su internet se ne trovano a decine di siti del genere però non si
era mai arrivati a vere e proprie liste. Fortunatamente in Italia
esistono leggi chiare in materia di antisemitismo, è il caso di
cominciare ad applicare anche nei confronti di chi utilizza la rete
per farsi portatore di messaggi di questo genere.”
Verweise
1. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08/02/shaulus08/apr_shaulus080208.de.pdf
2.
http://www.aeusserungsfreiheit.de/users/login.de.php?returnto=/08/02/shaulus08/index.de.html
3. http://www.aeusserungsfreiheit.de/
4. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08
5. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08/02/
6. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08/02/putin08
7.
http://www.corriere.it/cronache/08_febbraio_08/black_list_docenti_ebrei_67ebea60-d62a-11dc-88e3-0003ba99c667.shtml
8. http://www.magdiallam.it/
9. http://de.wikipedia.org/wiki/Nekrophilie
10. http://it.wikipedia.org/wiki/Ordine_Nuovo_%28movimento%29
11. http://it.wikipedia.org/wiki/Marco_Cappato
12. http://it.wikipedia.org/wiki/Legge_Mancino
13.
http://www.ansa.it/opencms/export/site/notizie/rubriche/daassociare/visualizza_new.html_12357617.html
14. http://www.ilcannocchiale.it/
15.
http://web20.excite.it/news/7376/Blog_antisemita_black_list_di_162_professori_ebrei
16. http://www.aeusserungsfreiheit.de/
17. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08
18. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08/02/
19. http://www.aeusserungsfreiheit.de/08/02/putin08
20. http://validator.w3.org/check/referer
21. http://a2e.de/adv/deplate/
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