Re: BVerfG beschraenkt digitale Forensik, sonst nichts neues
Am 3 Mar 2006, um 23:45 hat Florian Weimer geschrieben:
>
> Die Ermittlungspraxis weicht freilich grundlegend davon ab:
> Beschlagnahmt wird im privaten Bereich alles, was irgendwie nach
> Rechner oder Datenträger ausschaut,
Genau. Haeufig werden alle Rechner komplett, sowie alle CD-Roms und
DVD's die man so finden kann, mitgenommen.
Das Problem fuer den Betroffenen ist dann meistens auch, dass es
mindestens Monate dauert, bis er seine PC's zurueckbekommt.
Zwischen dem was sich das BVerfG da so vorzustellen scheint und dem was
praktiziert wird, liegen Welten.
Wenn man die Entscheidung jetzt beim Wort nimmt, muesste man allerdings
folgern, dass die Beschlagnahme ganzer Rechner oder zumindest der
Festplatten in den meisten Faellen nicht dem
Verhaltnismaessigkeitsgrundsatz entspricht und zu unterbleiben hat.
Das wuerde bedeuten, dass die Ermittler bei Beschlagnahmemassnahmen die
beim Empfaenger ansetzen zwar nicht an § 100a StPO gebunden sind, dass
sie andererseits aber regelmaessig auch nicht berechtigt sind, den
Rechner mitzunehmen.
In der Praxis wird das freilich weiterhin so gemacht werden wie bisher.
Da wird sich nicht viel aendern.
>
> Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich halte digitale Forensik für
> ein wichtiges Werkzeug, aber sie sollte im Normalfall nur mit Zustimmung
> des Rechnerinhabers durchgeführt werden. Zufallsfunde lassen sich kaum
> vermeiden.
Zufallsfunde sind ja aus Sicht der Strafverfolger auch erwuenscht. Wenn
sich der Verdacht der Kinderpornografie nicht erhaertet, ist es immer
gut, wenn man zumindest ein raubkopiertes MS-Office gefunden hat.
>
> Die anderen Folgerungen sind formal korrekt, im Ergebnis aber
> unbefriedigend, da, wie von der Beschwerdeführerin und den
> Sachverständigen ausgeführt wurde, selbst für den interessierten Laien
> eine vollständige und endgültige Löschung von Daten in digitalen
> Endgeräten nicht möglich ist. Die Möglichkeit der Zerstörung des
> Endgeräts ist insofern kein Ausweg, als daß die digitale Identität des
> Betroffenen teilweise technisch an das Endgerät bzw. seinen
> Datenspeicher geknüpft ist (vgl. die SIM-Card), teilweise mittelbar aus
> der Gesamtmenge der gespeicherten Daten ergibt (Allzweckrechner). Die
> Feststellung, die informationelle Selbstbestimmung könne durch eine
> Vernichtung sämtlicher Aufzeichnungen gewahrt werden, grenzt an Hohn.
Das BVerfG hat sich bei seiner Entscheidung zu stark von einem
Vergleich mit dem guten alten Brief leiten lassen.
Die Schlussfolgerungen des BVerfG sind offenbar von der Vorstellung
gepraegt, dass bereits beim Empfaenger zugestellte Briefe, die dieser
in seinem Schrank aufbewahrt, nicht mehr dem Briefgeheimnis
unterliegen. Diese Ueberlegung hat man dann 1:1 auf E-Mails
etc.uebertragen.
Gerade wenn man wie das BVerfG akzentuiert, dass der spezielle Schutz
des Fernmeldegeheimnisses einen Ausgleich für den technisch bedingten
Verlust an Beherrschbarkeit der Privatssphaere schafft, haette es aber
nahe gelegen, hier andere Masstaebe anzulegen.
Es stellen sich auch interessante Folgefragen. Was ist denn jetzt mit
den Mails auf dem Mailserver des Providers? Wie lange unterliegen die
dem Fernmeldegeheimnis? Immer oder nur solange sie der Adressat nicht
abgerufen hat?
Beim Post- und Briefgeheimnis war die Post im Hausbriefkasten noch von
Art. 10 GG geschuetzt.
Wie ist das jetzt mit dem Mailserver? Entspricht der dem
Hausbriefkasten?
Mails koennen, anders als die Post im klassischen Sinne, in den
Herrschaftsbereich des Empfaengers gelangen und gleichzeitig im
Herrschaftsbereich des Providers verbleiben.
Dieses Ergebnis muss allerdings die Vorstellungskraft desjenigen
sprengen, der immer nur einen Postbediensteten vor Augen hat, der einen
Gegenstand (Brief, Paket) von A nach B transportiert.
Ich glaube, dass wir es hier mit einem Urteil zu tun haben, das man in
der Folgezeit in Karlsruhe noch sehr haeufig wird relativieren muessen.
Gruesse
Thomas
Thomas Stadler
ts@xxxxxxxx
http://www.haftung-im-internet.de
_____________________
Rechtsanwaelte AFS
http://www.afs-rechtsanwaelte.de
--
To unsubscribe, e-mail: debate-unsubscribe@xxxxxxxxxxxxxx
For additional commands, e-mail: debate-help@xxxxxxxxxxxxxx