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[FYI] jW: Kennzeichen-Scannen in Bayern



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http://www.jungewelt.de/2004/04-29/017.php


junge Welt vom 29.04.2004


Interview

Kennzeichen-Scannen in Bayern: Autofahrer unter Terrorverdacht?

jW sprach mit Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz

Interview: Maike Dimar


F: In Bayern, Hessen und Thüringen wurden Modellversuche zum Scannen von
Autokennzeichen als Fahndungsmethode durchgeführt. In Bayern soll diese
Maßnahme nun Eingang ins Polizeiaufgabengesetz finden. Haben Sie
grundsätzliche Bedenken?

Die Frage ist generell, ob das überhaupt durch Polizeiaufgabengesetze zu
regeln ist. Die Fahndung ist Bestandteil der Strafverfolgung, so daß ein
Scannen von Autokennzeichen möglicherweise bundeseinheitlich in der
Strafprozeßordung zu regeln wäre.

F: Was ist in Ihren Augen das zentrale Problem beim Kennzeichenscannen?

Daß die Maßnahme lage- und verdachtsunabhängig erfolgen soll, und daß
dabei eine Infrastruktur entsteht, die gegebenenfalls für weitergehende
Überwachungsmaßnahmen verwendet werden kann. Technisch wäre es ohne
weiteres machbar, diese Daten nicht nur zu erheben, sondern sie auch zu
speichern und zu Bewegungsprofilen von Autofahrern zusammenzufassen.

F: Die in Bayern erhobenen Daten sollen angeblich gelöscht werden.

Ich habe keine Zweifel, daß dies zunächst so geplant ist. Aber man muß
eine Technologie im Hinblick auf ihre Anwendungsmöglichkeiten
betrachten. Das Problem ist aus meiner Sicht, daß eine solche
Technologie, wenn sie erst einmal da ist, später häufig auch für andere
Zwecke verwendet werden soll. Es ergeben sich dann immer auch andere
Begehrlichkeiten.

F: Der bayerische Innenstaatssekretär Georg Schmid betont immerhin,
nicht den unbescholtenen Bürger, sondern internationale Straftäter in
den Fokus stellen zu wollen. Ist das für Sie ein Grund zur Entwarnung?

Mag sein, daß die Maßnahme zunächst auf diese Zielgruppe ausgerichtet
ist. Doch dann hat man den sogenannten Beifang, diejenigen, die etwas
getan haben, was nicht ganz in Ordnung ist. Letztlich will man dann von
ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern vielleicht auch wissen: Wo fahren
die eigentlich hin, fahren sie möglicherweise zu schnell? Genau das gibt
es in anderen Ländern schon. Dort wird über zwei Kontrollstellen die
Geschwindigkeitsdifferenz ausgerechnet. Das wäre dann vielleicht auch
bei uns der nächste Schritt. So hat man diese Technik zum Beispiel in
London zunächst auch aus Sicherheitsgründen eingeführt ? jetzt wird sie
für die City-Maut verwendet.

F: Kennzeichen per Videokamera zu registrieren, wäre nur ein Mosaikstein
auf dem Weg zum allmächtigen Überwachungsstaat, meinen Kritiker. Welche
Gefahren birgt der Überwachungsdruck nach Ihrer Einschätzung für die
Gesellschaft und den einzelnen?

Einmal besteht die Möglichkeit, durch umfassende Kenntnis von
personenbezogenen Daten den einzelnen zu manipulieren. Staatlichen
Stellen will ich das nicht vorwerfen. Aber beim Handel, etwa im Hinblick
auf Marketingprofile und Internetnutzung, kann man diese Auswirkung
leider schon feststellen. Dort werden personenbezogene Informationen zu
Werbezwecken ausgewertet. Der Betroffene ist sich gar nicht im klaren
darüber, daß er gezielt angesprochen wird, und glaubt, es sind
Informationen, die jeder andere auch erhält. Einen zweiten Aspekt sehe
ich noch viel kritischer. Wenn man befürchten muß, daß das
Gesamtverhalten erfaßt wird, verhält man sich nicht mehr frei. Sobald
man die Gefahr sieht, bei einer Demonstration selbst dann registriert zu
werden, wenn man sich völlig gewaltfrei verhält, führt das
möglicherweise dazu, daß man gar nicht mehr demonstriert. Soweit darf es
auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes nicht kommen.

F: An welchem Punkt könnte die Ausweitung solcher Überwachungspraktiken
zur Gefahr werden?

Wenn etwa in einer extremen Gefährdungssituation alles, was man an
Informationen irgendwie gewinnen kann, gespeichert wird. In den USA geht
die Entwicklung nach dem 11. September 2001 in diese Richtung. Dort
entstehen umfassende Datensammlungen riesigen Ausmaßes, ohne daß ein
Verdacht gegen die betroffenen Personen vorliegt, und niemand weiß
genau, was mit diesen Daten geschieht.

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