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Prepaid-Handys anonym kaufen



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Hallo,

ich habe heute in mehreren Läden versucht, ein Handy mit Prepaid-Karte
anonym zu kaufen. - Vergeblich.
~   Nachdem das Verkaufsgespräch grundsätzlich erfolgreich verlaufen war
(Mir wurde ein Produkt angeboten, ich war mit Produkt und Preis einver-
standen.), verlangten die VerkäuferInnen meinen Personalausweis. Ohne
Ausweisung könnten bzw. dürften bzw. würden sie mir das Produkt nicht
verkaufen.

Aus meiner Sicht ist die Rechtslage eindeutig: § 8 Telekommunikations-
gesetz (TKG) Abs. 10 Satz 1:
~   "Die geschäftsmäßige Erbringung von Telekommunikationsdiensten und
deren Entgeltfestlegung darf nicht von der Angabe personenbezogener
Daten abhängig gemacht werden, die für die Erbringung oder Entgeltfest-
legung dieser Dienste nicht erforderlich sind."

Demnach dürfte sich kein Anbieter weigern, mit mir einen Vertrag über
einen Telekommunikationsdienst abzuschließen, nur weil ich keine
personenbezogenen Daten preisgeben will.
~   1: ... es sei denn, eine übergeordnete Rechtsvorschrift würde anderes
vorsehen (da kann ich nach dem BVerwG-Urteil vom 22.10.2003 - s. u. -
keine in Frage kommende Vorschrift erkennen)
~   2.: ... oder die Erbringung oder Entgeltfestlegung der Dienste würde
die Erhebung personenbezogener Daten meiner Person erforderlich machen.
(Das ist bei Prepaidkarten nachweislich nicht der Fall: Anonym auf dem
Flohmarkt gehandelte, nicht oder nur teilweise abtelefonierte
Prepaidkarten beweisen exemplarisch, dass der Telekommunikationsdienst
funktioniert und korrekt abgerechnet wird, auch wenn dem Anbieter keine
personenbezogenen Daten der NutzerIn bekannt sind.)

Die Verpflichtung, Telekommunikationsdienste auch ohne Erhebung
personenbezogener Daten anzubieten, entspricht auch dem Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung, das sich gemäß Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes vom 15.12.1983 aus dem Grundgesetz (Art. 2
Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ableitet.

Das entspricht auch den Grundsätzen der Datenvermeidung und der
Datensparsamkeit, die § 3a Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) festlegt und
die sich laut BVerfG-Urteil vom 15.12.1983 aus dem Verfassungsgebot
ergeben, nur die erforderlichen Daten unter Verzicht auf eine
Vorratsspeicherung zu erheben.

Das entspricht weiterhin der Rechtsauffassung der gesetzgebenden Organe
(Legislative):
~   Die Verpflichtung, Prepaid-Karten einer Person zuzuordnen, wurde 2003
und 2004 verschiedentlich vorgeschlagen (etwa von einer
Bundesratsmehrheit), von der Bundesregierung jedoch abgelehnt. Beide
Seiten räumten dabei bzw. damit ein, dass es für die Erhebung personen-
bezogener Daten bei Prepaid-Karten derzeit weder eine technische noch
eine abrechnungsbezogene noch eine juristische Notwendigkeit gibt ...
womit das Verbot aus § 8 TKG greift: personenbezogene Daten dürfen keine
Vertragsbedingung sein.

Nach Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.10.2003 (Az.: BVerwG 6
C 23.02; siehe auch mein "P. S.") müssen Prepaid-Anbieter keine per-
sonenbezogenen Daten ihrer KundInnen speichern. In Verbindung mit dem
Grundgesetz (Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung) und dem
Bundesdatenschutzgesetz (Grundsätze: Datenvermeidung und Datenspar-
samkeit) sowie dem Telekommunikationsgesetz (Verbot, Telekommunikations-
dienste unnötig von der Abgabe personenbezogener Daten abhängig zu
machen) ergibt sich daraus für mich eine eindeutige Rechtslage: Kein
Anbieter darf mir einen Prepaid-Handy-Vertrag verweigern, nur weil ich
nicht bereit bin, personenbezogene Daten über mich zu offenbaren.


Meine Fragen an euch:

1.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen? Wie seit ihr an ein anonymes Handy gekommen?

2.
Seht ihr juristische Bedenken hinsichtlich der von mir angenommenen und
geschilderten Rechtslage? Welche?

3.
Welche Möglichkeiten seht ihr, mein "Recht" auf anonymen Kauf eines
Prepaid-Handys durchzusetzen? (Ich weiß, dass es kein "Recht" im
juristischen Sinn ist. Aber es ist im juristischen Sinn ein "Unrecht",
wenn mir ein entsprechender Vertrag verweigert wird mit der - im
Zeifelsfall durch ZeugInnen zu beweisenden - Begründung, ich würde keine
personenbezogenen Daten preisgeben.)
~   Mit welchen Rechtsmitteln kann ich zum Beispiel gegen Laden X
vorgehen, wenn dessen Angestellte sich ausdrücklich deswegen weigern,
mir ein Prepaid-Handy zu verkaufen, weil ich nicht bereit bin,
personenbezogene Daten von mir preiszugeben.

Vielen Dank und
schöne Grüße


Holger

P. S.: Anbei ein paar Passagen aus dem Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 22.10.2003, die ich in diesem Zusammenhang für relevant halte:
~   "Das von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht
auf informationelle Selbstbestimmung umfasst die Befugnis des Einzelnen,
grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persön-
lichen Daten zu bestimmen [...]. [...] Die hier in Rede stehenden Daten
unterfallen [...] ganz überwiegend dem Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung. Eine Datenerhebungspflicht beeinträchtigte das Grundrecht."
~   "Die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
der Kunden entbehrt nicht etwa deshalb der Eingriffsqualität, weil die
Kunden in den Eingriff durch die Bereitschaft einwilligen würden, mit
dem Diensteanbieter einen zivilrechtlichen Vertrag abzuschließen, dessen
Zustandekommen von der Preisgabe personenbezogener Daten abhängt. Ein
wirksamer 'Grundrechtsverzicht' kommt nur in Betracht, wenn dieser frei-
willig erfolgt [...]. Von einer freiwilligen Einwilligung in die
Grundrechtsbeeinträchtigung kann hier nicht gesprochen werden. [...]
Deshalb kann in dem Abschluss eines Vertrags, der mit der Pflicht zur
Offenbarung personenbezogener Daten verknüpft ist, kein freiwilliger
Verzicht auf das durch die Datenerhebung beeinträchtigte Recht auf
informationelle Selbstbestimmung gesehen werden."
~   "Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre
nur gerechtfertigt, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruhte,
die dem Gebot der Normenklarheit entspricht."
~   "Es ist ferner zu berücksichtigen, dass diesem Grundrecht die Grund-
sätze der Datenvermeidung und sparsamkeit zu entnehmen sind, wie sich
insbesondere aus dem Gebot ergibt, nur die erforderlichen Daten unter
Verzicht auf eine Vorratsspeicherung zu erheben (vgl. BVerfG, Urteil vom
15. Dezember 1983 [...])."
~   "Fehlt eine solche [Datenerhebungs-]Pflicht [der Diensteanbieter], so
hat das die ihrerseits unter systematischen Gesichtspunkten unbedenk-
liche Folge, dass § 90 Abs. 1 TKG in der Weise an § 89 TKG anknüpft,
dass die in die Kundendateien aufzunehmenden Daten zuvor auf der Grund-
lage des § 89 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a TKG zulässigerweise erhoben sein
müssen." [Dort heißt es: "Nach Maßgabe der Rechtsverordnung dürfen
Unternehmen und Personen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste
erbringen oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, die Daten
natürlicher und juristischer Personen erheben, verarbeiten und nutzen,
soweit dies erforderlich ist 1. zur betrieblichen Abwicklung ihrer
jeweiligen geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienste, nämlich für a)
das Begründen, inhaltliche Ausgestalten und Ändern eines Vertrags-
verhältnisses".]
~   "Dem Gesetzgeber war [...] zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens
die mit der Vermarktung von Prepaid-Produkten einhergehende Problematik
anonymer Kundenverhältnisse und die daraus sich ergebenden Schwierig-
keiten für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs bekannt."
~   "Davon gehen erkennbar auch die vom Europäischen Rat [...] ange-
nommenen 'Schlussfolgerungen zur Rückverfolgung der Verwendung von
Guthabenkarten für Mobiltelefone zur Erleichterung strafrechtlicher
Ermittlungen' aus (Dok. 7808/03). In diesen Schlussfolgerungen wird
beklagt, dass in den meisten Mitgliedstaaten die Registrierung anonymer
Guthabenkarten, mit denen Mobilfunkdienste betrieben werden könnten,
oder deren Benutzer nicht vorgesehen sei, was die Überwachung des
Fernmeldeverkehrs erschwere."

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