Re: [FYI] Bill Thompson [BBC] will Internet abschaffen - "How to control what is online"
On 8 Feb 2004, at 22:48, Hartmut Pilch wrote:
> In dem zitierten Artikel
>
> > <http://news.bbc.co.uk/2/hi/technology/3465383.stm>
>
> vertritt er so ein Faible zumindest nicht offensiv.
Aehh, was heisst denn hier "offensiv"?
Vielleicht vertritt er das Repressionskonzept auch "defensiv".
Naemlich aus Angst vor der derzeitigen Lage der Dinge. Waere aber
auch egal.
Was Bill Thompson da konkret vorschlaegt, zeugt von einem zutiefst
pessimistischen Menschenbild: Der Mensch ist des Menschen Wolf,
deshalb muss man insbeondere die Kommunikation zwischen den Menschen
rigoros kontrollieren, und wenn das Internet das derzeit technisch
nicht hergibt, muss man es eben abschaffen.
Da passt es taktisch natuerlich wunderbar ins taktische Konzept, dass
in UK gerade ein Moerder verurteilt wurde, der vor seiner Tat
Darstellungen abartiger nekrophiler Graesslichkeiten ueber das
Internet konsumiert hatte.
Die ganze Diskussion waere zu vergleichen mit der Idee,
Kraftfahrzeuge wieder abzuschaffen, nachdem schnelle Autos erstmals
als Fluchtfahrzeuge nach Bankueberfaellen verwendet worden sind.
Bill Thompson kann niemandem erzaehlen, dass es ihm "nur" um
Darstellungen von nekrophilen Abartigkeiten geht; er will eine
umfassende (staatliche) Kontrolle digitaler Kommunikationsvorgaenge.
Mein Vertrauen in die Begrenzbarkeit derartiger staatlicher Kontrolle
ist sehr gering.
Wie wir alle wissen, stehen die Institutionen Schlange, denen
irgendwelche Kommunikationvorgaenge nicht passen, von jugendschutz.de
bis riaa.com.
Und es gaebe ja Alternative, wenn auch muehsame, und nicht so rasch
umsetzbare, naemlich die fuer die Inhalte im Einzelfall
verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Was Bill Thompson hier
propagiert, ist die Ummuenzung eines Vollzugsdefizites in einen
Aufruf, die offene transnationale Architektur des Internets zu
beerdigen.
Es ist in meinen Augen ein historischer Gluecksfall, ein echtes
Innovationsmoment fuer die kapitalistischen Gesellschaften, dass das
Internet als transnationales Konstrukt so schnell ueber uns gekommen
ist, dass die Kraefte des "ancien Regime" schlicht ueberrollt worden
sind.
Und: Dotcom-Crash hin oder her, ich bin nach wie vor ueberzeugt, dass
Ende des vergangenen Jahrhunderts die Internet-Aera in ihren
_kurzfristigen_ Auswirkungen ebenso ueberschaetzt worden ist wie die
_langfristigen_ Auswirkungen nach wie vor unterschaetzt werden.
Diejeigen Kreise, die durch die globale digitale Vernetzung etwas zu
verlieren haben, machen ihre Hausaufgaben und versuchen verzweifelt,
das Rad der Geschichte zurueck zu drehen. In DE hatte die IFPI ja
schon mal die Idee, digitale "Zollhaeuschen" an den Border Routern zu
fordern ... davon hat man - Bandbreitenexplosion sei Dank - schon
seit geraumer Zeit nichts mehr von gehoert. Aber im Paracopyright-
Bereich ist schon einiges passiert, und die TCPA-Nachfahren versuchen
sich an einer anderen Front an "Schadensbegrenzungsmassnahmen" mit
dem Ziel, dem breiten Publikum die Kontrolle ueber den eigenen
Rechner bereichsweise wieder wegzunehmen.
Wenn der Vorschlag vor fuenf Jahren von einem 61-jaehrigen CSU-
Politiker aus Bayern gekommen waere, haette ich mich ja weniger
gewundert (siehe der Uralt-debate-Thread "Moerder zeraegt Opfer im
Internet" [oder so aehnlich]); ich frage mich nur, wie der besonnene
"common sense" in UK inmitten der "Tante BBC" derartig extremistische
Spin-Doctors hervorbringt ...
--AHH
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