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Re: Amitai Etzioni zu Vollanonymitaet und SPAM



Nach Verfolgung der Debatte will ich abwechslungshalber mal zu dem
tatsächlich zitierten Artikel Stellung nehmen; ja, ich gebe dem Troll
einen Keks, hoffe aber auf die Möglichkeit, dass dieser ihm ob seiner
Größe im Halse steckenbleibt...

On 26 Jan 2004 , Thomas Riedel wrote about Amitai Etzioni zu
Vollanonymitaet und SPAM:
> http://www.csmonitor.com/2004/0122/p09s02-coop.html

> Etzioni ist natuerlich
> auch Ideologe, aber das sind die Datenschuetzer ja auch. Es hilft
> jedenfalls, Gegenpositionen zu bedenken, dann braucht man sich
> argumentativ nicht im Kreis zu drehen.

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Christian Science Monitor article of Jan 22nd, 2004:
Law and order and the wild, wild Web
By Amitai Etzioni
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Zusammenfassung:

1) Zuerst belegt der Autor mit Anekdoten, dass durch das Internet
Dinge möglich sind, die ihm unheimlich sind, und stellt die Forderung
auf, "to apply to cyberspace the same national and international laws
by which we all abide".

2) Er stellt ferner fest, dass die Tage, wo das Internet auch ohne
Regulierung "ordentlich" war, vorbei sind: "But now we live in a
cybermetropolis that has turned into an online jungle, in which all
that is socially taboo and illegal is found in abundance and
vigorously pushed." Auch die internet-gestützte Bedrohung durch
Terroristen, Drogenbarone und Pädophile wird postuliert.

3) Einige demokratische Länder haben Gesetze erlassen, die durch das
Internet von anderen demokratischen Ländern aus gebrochen werden
können (Nazipropaganda etc.). Dies findet der Autor "unacceptable".

4) Der Autor widmet eine ganzen Absatz der "Sales Tax", die er schon
vorher erwähnt hat: beim Einkauf vor Ort fällt in USA eine Sales Tax
an, die durch Einkauf per Versand umgangen wird.

5) Die Polizei habe Probleme, Emails zum Absender zurückzuverfolgen,
und könne beschlagnahmte Emails  oft nicht lesen, weil sie
verschlüsselt sei.

6) Etzioni fordert nun einen "Cyberspace Passport". Dieser soll zwar
nicht allgemein angewendet werden, aber bei a) nicht jugendfreien
Angeboten, b) Arzneiversand, c) Online Shopping (-> Sales Tax) und d)
Zurückverfolgung krimineller Emails zum Tragen kommen.

7) Der Autor will für jeden Netzteilnehmer die lokal gültigen Gesetze
durchsetzen und meint, mit Computers Hilfe müsste das ja noch
einfacher gehen als in der "realen Welt".

8) Online und offline sollen die gleichen Gesetze gelten.



Replik:

1) An der Oberfläche scheint die Forderung ins Leere zu gehen: es ist
ja Tatsache, dass auch die Aktivitäten, die real existierende
Menschen im Netz entfalten, real existierendem Recht unterworfen
sind.

2) Das Argument, gerade im Internet tummele sich vergleichsweise viel
illegales und unsittliches, wird in diesem Aufsatz postuliert, aber
nicht unterfüttert. Der populären Medienberichterstattung zum Trotz
nehme ich bis zum Beweis des Gegenteils erst einmal an, dass in der
"Cybermetropole" genausoviel Schmutz existiert wie in der real
existierenden Welt; dieser Schluß liegt nahe, da ja dieselben
Personen dahinter stecken. Der "online jungle" reflektierte dann
lediglich den bereits offline vorhandenen, für den Autor aber wohl
nicht sichtbaren "jungle".

3) Die Folgerung aus Etzionis Argument wäre, dass ein demokratischer
Staat dadurch, dass er ein Gesetz erlässt, die Grundrechte von
Menschen, die in anderen demokratischen Staaten leben, einschränken
könnte. Hier wird also der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben.

4) Insbesondere der Punkt der "Sales Tax" ist Luftargument, da eben
gerade real existierende Rechtsprechung in USA verbietet, die Sales
Tax im Interstate Commerce zu erheben; hier würde eine Änderung der
"offline" geltenden Gesetze bereits Abhilfe schaffen, so wie dies die
EU kürzlich vorgemacht hat: ausländische Anbieter müssen für Verkäufe
in die EU seit letztem Jahr Mehrwertsteuer abführen.

5) Die Polizei hat auch offline große Probleme, Briefe zum Absender
zurückzuverfolgen, und kann verschlüsselte Briefe nicht lesen.
Dahinter steckt das Argument, dass im Netz zwar dieselben Gesetze
gälten, sie aber nicht im selben Maße wie außerhalb durchgesetzt
werden könnten. Die Antwort darauf ist zwiefach: zum einen werden
auch im Internet Gesetze soweit durchgesetzt, wie sie vom Konsens der
Gesellschaft getragen werden; zum anderen sind die Dinge, die im
realen Leben nicht geahndet werden werden, weil sie im Dunkeln
bleiben, im Internet sichtbarer, was die Wahrnehmung möglicherweise
verzerrt. Ohne verläßliche Zahlen kann dieses Argument nicht bewertet
werden.

6) a), b) Gerade in den USA, wo gefälschte Führerscheine etc. auch
offline schon leicht zu haben sind, ist die Idee eines digitalen
Altersnachweises bei nicht jugendfreien Angeboten lachhaft. b), c)
Bei jeder Form von Versand ist ein digitaler Pass überflüssig, weil
der Versender den Bestimmungsort der Ware kennen muss und daraus die
für den Versand geltenden Gesetze ableiten kann. d) Die Versender
krimineller Emails werden sicherlich ihre Emails nicht digital
signieren bzw. ein Versandsystem, was dies verlangt, nicht benutzen.
Kontrolliert würde durch eine solche Maßnahme lediglich die
unbescholtene Bevölkerung.

7) "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht". Das Internet dazu zu
nutzen, die Teilnehmer besser zu informieren, was erlaubt ist und was
nicht, ist eine lobenswerte Forderung, der ich mich nur anschließen
kann. Zur Umsetzung ist freilich ein digitaler Pass nicht vonnöten.

8) Online und offline gelten dieselben Gesetze. Dass der Autor diese
Forderung erhebt, bedeutet, dass es für ihn den Anschein hat, es sei
nicht so. Dies liegt meines Erachtens daran, dass dieselben Gesetze
vermittels der Technik online zu einer anderen Gesellschaftsordnung
führen. Die Ghettoisierung der Armut, die Verdrängung der
sexuellengewalt ins Häusliche usw. wird vom nicht diskriminierenden,
weniger stark in Lokalitäten unterteilten Internet aufgehoben. Das
System, das die Gesellschaftsschichten isoliert und bestimmte Themen
tabuisiert, ist im (zusätzlich internationalen!) Internet nicht so
wirksam wie außerhalb. Interessanterweise stützt Argument 2) diese
These: solange das Internet noch von einer vergleichsweise homogenen
Gruppe der Gesellschaft genutzt wurde, traten diese Probleme nicht in
großem Maß zutage.

Folgerung:

Das, was Etzioni erreichen will, läßt sich entweder auch ohne
digitalen Pass verwirklichen oder selbst mit digitalem Pass nicht
erreichen. Wenn es stimmt, dass Mailboxnetze Glasnost in der UdSSR
mit bewirkt haben, so läßt sich die Auswirkung des Internet auf die
westlichen Gesellschaften mit Spannung erwarten - wir sind
mittendrin. Konservative wollen diese Veränderung aufhalten;
bedenklich ist, was deren untaugliche Ansätze, werden sie denn
verwirklicht, ihrerseits für Konsequenzen haben könnten.



Exkurs:

Etzioni verurteilt die Haltung, Amerikaner hätten "a God-given right
to steal "intellectual property" - copy CDs and DVDs - without paying
a penny, as long as they do it online." Der in der laufenden
Diskussion bereits mehrfach strapazierte Vergleich zum Auto trifft es
ganz gut: ich würde mich sehr wundern, wenn Etzioni als Amerikaner
(dies gilt sicher auch für die meisten Deutschen) sich nicht als
Inhaber des "gottgegebenen" Rechtes, ein Auto zu besitzen und zu
benutzen, fühlen würde. Allerdings schädigt das Führen eines
Kraftfahrzeugs die Umgebung über die Unfallziffern hinaus; über Lärm
und Abgase wird die Gesundheit zahlreicher Mitmenschen geschädigt,
ohne dass ihnen einen Regress bliebe, da das Autofahren als
"sozialadäquat" angesehen wird. Es ist für mich plausibel, dass eine
solche Gesellschaft auch das Kopieren von Unterhaltungswerken als
sozialadäquat ansehen könnte, obwohl es ungerecht erscheint.
Allerdings ist es für mich noch nicht erwiesen, dass tatsächlich die
Mehrheit der Bevölkerung (oder auch nur der Internetteilnehmer) dies
will.


Wahrscheinlich war's zu kurz und knapp ;)
Noch kürzer und knapper: Das Internet präsentiert Herrn Etzioni die
Welt nicht so, wie er sie gern sähe, und deshalb schlägt er um sich.

Michael Mendelsohn

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The beginning starts in the middle, and the end suddenly stops.
"Der Anfang fängt in der Mitte an, und das Ende hört plötzlich auf."
  -- zitiert auf http://www.meocom-online.de/home/sabseb/zl.html


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