TP: Berufsverbot für Mediendesigner?
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Berufsverbot für Mediendesigner?
Wolf-Dieter Roth 17.10.2003
Alvar Freude hat sich als Netzaktionist einen Namen gemacht und ist
mittlerweile auch diversen Staatsanwaltschaften ein Begriff. Diese
übertreffen in ihren Reaktionen jedoch inzwischen sogar seine eigenen
satirischen Fähigkeiten.
Alvar Freude [1] hat sich schon in seiner Diplomarbeit praktisch mit
einem gefährlichen Thema beschäftigt: Zensur. Über einen leicht
modifizierten Proxy [2] wurden im Projekt Insert Coin [3] alle
Webzugriffe der ca. 250 anderen Studenten und Mitarbeiter der
Merz-Akademie in Stuttgart gefiltert und manipuliert. So wurden gängige
Suchmaschinen mit einer zusätzlichen "Denunzierfunktion" versehen, um
illegale Inhalte auf den gefundenen Seiten einem "Zensor" zu melden.
Das fiel jedoch den Nutzer gar nicht weiter auf und führte auch nach
Bekanntgabe der Aktion nicht zu größerer Beunruhigung oder Abschalten
des Proxies durch die User. 2001 bekam Alvar damit sein Diplom als
Kommunikations-Designer.
Ein späteres Projekt, der Assoziations-Blaster [4], bekam dagegen
Ärger, weil er Webseiten zwar ergänzt, aber nicht zensiert: Wer hier an
geeigneter Stelle [5] Webadressen eingibt, bekommt die betreffende
Seite mit zusätzlichen Kommentaren, eben Assoziationen präsentiert und
auch sonst können die Benutzer Begriffe mit Assoziationen versehen.
Dies benutzte zunächst eine Softwarefirma, um das System unter allen
möglichen Begriffen mit Werbung für sich zu spammen, so wie es heute
mit Suchmaschinen gemacht wird. Als die User dies entsprechend
kommentierten, wollte die Firma die Abschaltung des Projekts
durchsetzen [6].
Bahn fährt Assoziationsblaster an den Wagen
Danach hatte die deutsche Bundesbahn entdeckt [7], dass auch über den
Webblaster der von ihr verfolgte Text aus der Zeitschrift "Radikal"
über das Lahmlegen von Zügen erreichbar ist. Klar, der Webblaster ist
ja kein Zensurtool - was man aufruft, wird auch angezeigt und lediglich
mit zusätzlichen Assoziationen versehen. Doch das wollte die Bahn
nicht akzeptieren [8].
Als Verfechter der Informationsfreiheit hatte Alvar Freude jedoch auch
öfters gegen die Zensurpläne von Jürgen Büssow, Präsident der
Bezirksregierung Düsseldorf, Stellung bezogen [9], der ja nun
ebenfalls Zensurfilter aufstellen lassen will - diesmal jedoch
echte [10]. Von vier beabsichtigten zu sperrenden Seiten blieben am
Ende nur zwei Nazisites, doch es geht ums Prinzip: Ist so ein Verfahren
einmal bei Regierung und Providern Routine, kann schnell auch jede
andere missliebige Seite aus dem deutschen ebenso wie aus dem
chinesischen oder arabischen Internet ausgeblendet werden. Alvar Freude
stellte eine Strafanzeige [11] gegen die Bezirksregierung sowie die
beteiligten Provider, da diese Aufrufe der gesperrten Seiten zumindest
teilweise an die Bezirksregierung Düsseldorf weiterleiteten - und damit
auch an die gesperrten Adressen gesandte Emails. Die Antwort [12] der
Staatsanwaltschaft Köln ist teils absurd:
Auch eine Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses gemäß § 206
StGB ist nicht gegeben. Es wird keine Sendung im Sinne des Absatz 2
dieser Vorschrift unterdrückt. "Sendung" ist in diesem Zusammenhang
nach einhelliger Ansicht ausschließlich ein körperlicher Gegenstand,
also nicht die elektronische Post.
Das Unterschlagen von Emails - unabhängig davon, ob dies in diesem Fall
konkret stattgefunden hat - ist also nach Ansicht der
Staatsanwaltschaft Köln im Gegensatz zum Unterschlagen von Briefpost in
Deutschland legal.
Strafanzeige gegen Büssow
Ärger rief jedoch eine zweite Aktion von Alvar hervor: Der
Vorlesedienst "Tele Trust", der sich nicht etwa wegen George W. Bush
sondern infolge einer jener beliebten Markenstreitigkeiten politisch
korrekt in "Freedom Fone" umbenennen musste, bietet an, in
Nordrhein-Westfalen gesperrte Internetseiten am Telefon
vorzulesen [13]. Natürlich eine völlig lächerliche Idee, eine Satire,
die spätestens bei Sexseiten, aber auch bei der von Büssow ebenfalls
inkriminierten Website Rotten.com [14] mit ihren Sammlungen bizarrer
Bilder zu absurden Dialogen am Telefon führen dürfte ("Also, das
[schluck] ist ja ein ziemlich ekeliges Bild. Also ... da ist ein Hase
zu sehen, anscheinend ein Osterhase ... die bunten Eier sind neben dem
Korb verstreut und plattgefahren und der Hase ... ach rufen Sie doch
bitte in 10 Minuten wieder an und wählen Sie eine andere Seite, ich
muss mal eine Runde kotzen....").
Doch trotz offensichtlich lächerlicher Aufmachung - in den "Top 7" der
angeblich in Nordrhein-Westfalen gefilterten und deshalb am Telefon
vorgelesenen, doch in Wirklichkeit aus einem Pool von URLs zufällig
gewählten Seiten wird regelmäßig "csu.de" eingeblendet und man behält
sich Provisionen bei Gewinnen auf Glücksspielseiten vor, zudem werden
New-Economy-reife Jobausschreibungen veröffentlicht [15] - wurde der
"Dienst" von der Staatsanwaltschaft Stuttgart nun aufs Korn
genommen [16] - und das ziemlich heftig. Dabei wird nicht nur die
Weiterleitung von Odem.org auf andere Websites mittels Redirect
technisch völlig falsch als Umgehung bestehender Websitesperren
interpretiert und ihm gar Unterstütung von Nazis und Volksverhetzung
vorgeworfen. Man droht Alvar über seinen Anwalt auch offen damit, neben
Haft die "Tatmittel einzuziehen und ein Berufsverbot auszusprechen".
Tatmittel einziehen? Welche denn? Computer, Telefon oder gar die
Brille? - Alvar ist schließlich Brillenträger und könnte ohne Brille
keine Webseiten mehr vorlesen. Berufsverbot als freiberuflicher Medien-
und Webdesigner. Wie soll das gehen? Werden dann etwa Firmen verklagt,
die Alvar Freude Aufträge geben?
Dabei werden Alvar mittlerweile auch Verlinkungen zu Webseiten zur Last
gelegt, die weder mit den bisherigen Sperrverfügungen noch seinen
Projekten irgendwie zu tun haben, sich aber im Laufe der Arbeiten an
den Sperrverfügungen in den Akten angesammelt haben.
Tatsächlich haben in den rund 2 Jahren seit Bestehen des Dienstes
gerade eine Handvoll Leute überhaupt die 0190-Nummer von "Freedom Fone"
angerufen - und niemand wollte sich dabei rechtsradikale Seiten
vorlesen lassen, so Freude.
Alvar Freude ist ein exzellenter Satiriker - doch in Staatsanwalt
Milionis scheint er seinen Meister gefunden zu haben: So etwas Absurdes
hätte er sich auf Odem.org nie selbst ausdenken können. Leider besteht
jedoch die Gefahr, dass der Staatsanwalt gar keine Satire im Sinn hat,
sondern sein Vorhaben völlig ernst meint. Zu einem Gespräch mit
Telepolis war er nicht bereit.
Links
[1] http://alvar.a-blast.org/vita.de.html
[2] http://odem.org/insert_coin/experiment/proxy.html
[3] http://odem.org/insert_coin/
[4] http://www.assoziations-blaster.de
[5] http://www.assoziations-blaster.de/web-blast.html
[6] http://www.assoziations-blaster.de/offline.html
[7] http://www.heise.de/newsticker/data/anw-25.02.03-008
[8] http://www.assoziations-blaster.de/bahn/
[9] http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--wieviel-und-was.html
[10] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-08.02.02-011/
[11] http://www.odem.org/zensur/anzeige/
[12] http://www.odem.org/zensur/anzeige/koeln-antwort.html
[13] http://w2p.odem.org/
[14] http://www.rotten.com/
[15] http://w2p.odem.org/jobs.html
[16] http://odem.org/aktuelles/staatsanwalt.de.html
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